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Stilles Echo

Stilles Echo

Titel: Stilles Echo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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der Schnee liegengeblieben war, hatten die Dächer weiße Ränder, und aus den Schornsteinen quoll der Rauch beinahe schnurgerade zum Himmel hinauf. Die Bäume am Rand des Hydeparks zeichneten sich schwarz gegen die weißen Wolken ab, das fahle Winterlicht schien fast ohne Schatten zu sein.
    Er mußte noch eine Menge mehr über Leighton Duff in Erfahrung bringen: Was für ein Mann war er gewesen? Konnte es sich doch um ein Verbrechen aus Leidenschaft oder Eifersucht handeln, und steckte vielleicht überhaupt kein willkürlicher Raub hinter dem Ganzen? War Rhys’ Anwesenheit in St. Giles einfach ein zeitlicher Zufall gewesen?
    Und wieviel von dem, was Sylvestra sagte, entsprach der Wahrheit? Galten ihre Trauer und ihre Verwirrung ihrem Sohn und gar nicht ihrem Ehemann? Evan mußte noch viel mehr über ihr Leben wissen und über ihre Freunde, vor allem über jene, die Männer waren und die jetzt vielleicht einer faszinierenden und recht wohlsituierten Witwe den Hof machten. Dr. Wade war der erste und offensichtlichste Kandidat für derartige Nachforschungen.
    Es war ein abstoßender Gedanke, und Evan schauderte, als er die Buckingham Palace Road überquerte. Er legte die letzten Meter im Laufschritt zurück, um einer Kutsche auszuweichen. Der Wagen fuhr mit klirrendem Geschirr haarscharf an ihm vorbei, und die Hufe der Pferde, deren Atem in der eiskalten Luft zu weißem Dampf gefror, hallten auf dem Pflaster wider.
    Endlich erreichte Evan die Ebury Street und klopfte an die Tür von Nummer vierunddreißig. Das Dienstmädchen Janet öffnete und lächelte ihm ein wenig unsicher zu, als möge sie ihn recht gern, obwohl sie wußte, daß sein Erscheinen hier nur Schmerz bringen konnte. Sie führte ihn in den Empfangssalon und bat ihn, dort zu warten, während sie in Erfahrung brachte, ob Mrs. Duff ihn empfangen wollte.
    Als die Tür sich jedoch wieder öffnete, war es Hester, die hastig eintrat und die Tür hinter sich schloß. Sie trug ein blaues Kleid und hatte sich das Haar eine Spur weniger streng frisiert als gewöhnlich. Sie sah erhitzt aus, aber der Grund dafür war eher ihre Vitalität als ein Fieber oder gar so etwas wie Verlegenheit. Evan hatte sie immer gemocht, aber jetzt fand er, daß sie hübscher war, als es ihm je zuvor aufgefallen war.
    Weicher und femininer. Da war noch etwas, das ihn bei Monk immer wieder in Erstaunen setzte. Warum geriet er mit dieser Frau immer wieder in Streit? Er wäre der letzte Mann auf Erden gewesen, der es zugegeben hätte, aber vielleicht war genau das der Grund: Er konnte es sich nicht leisten und wagte es daher nicht, sie so zu sehen, wie sie wirklich war!
    »Guten Morgen, Hester«, sagte er zwanglos, und sein Gruß spiegelte mehr seine Gedanken wider als seine gewohnten Manieren.
    »Guten Morgen, John«, antwortete sie mit einem Lächeln, in dem neben dem Bewußtsein der Freundschaft, die sie verband, auch ein Hauch von Belustigung lag.
    »Wie geht es Mr. Duff?«
    Das Lachen verschwand aus ihren Augen, und selbst das Licht in ihren Zügen schien zu erlöschen.
    »Sein Zustand ist immer noch sehr schlecht. Er leidet an den furchtbaren Alpträumen. Gestern nacht erst hatte er wieder einen solchen Alptraum. Ich habe nicht die leiseste Ahnung, wie ich ihm helfen kann.«
    »Es steht außer Frage, daß er mitangesehen hat, was seinem Vater zugestoßen ist«, sagte Evan voller Mitgefühl. »Wenn er es uns doch nur erzählen könnte!«
    »Genau das kann er nicht!« entgegnete sie unverzüglich.
    »Ich weiß, daß er nicht sprechen kann, aber…«
    »Nein! Sie können ihn nicht fragen«, unterbrach sie ihn.
    »Tatsächlich wäre es besser, wenn Sie ihn überhaupt nicht aufsuchen würden. Wirklich – ich will Ihnen keine Hindernisse in den Weg legen. Ich würde selbst gern wissen, wer Leighton Duff ermordet hat und wer Rhys das angetan hat. Aber meine Hauptsorge muß seiner Genesung gelten.« Sie sah Evan mit großem Ernst an. »Es muß sein, John, ungeachtet aller anderen Dinge. Ich könnte niemals ein Verbrechen geheimhalten oder Ihnen wissentlich Lügen auftischen, aber ich kann Ihnen auch nicht gestatten, Rhys einen Schaden zuzufügen. Und das würden Sie tun, wenn Sie in irgendeiner Weise versuchten, ihm das, was er sah und empfunden hat, wieder ins Gedächtnis zurückzurufen. Wenn Sie die Alpträume mitangesehen hätten, die ich bei ihm erlebt habe, würden Sie nicht mit mir streiten.« Ihre Augen verdunkelten sich vor Kummer, und ihr Gesicht wurde spitz, so sehr bedrückte sie

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