Stilles Echo
vorstand, und hatte blondes, recht einnehmend gewelltes Haar und kühne, direkt blickende blaue Augen.
»Ich bin Duke Kynaston, Mr. Evan«, sagte er kühl. »Mein Vater ist noch nicht zu Hause. Ich weiß auch nicht genau, wann er erwartet wird. Natürlich wollen wir der Polizei in jeder erdenklichen Weise behilflich sein, aber ich fürchte, wir können in dieser Angelegenheit nicht viel tun. Wäre es nicht besser, wenn Sie Ihre Untersuchungen in St. Giles fortsetzten? Dort ist es doch geschehen, oder?«
»Ja, das stimmt«, erwiderte Evan, während er versuchte, den jungen Mann einzuschätzen und sich ein Bild über seinen Charakter zu machen. Er fragte sich, wie nah er Rhys Duff gestanden haben mochte. Aus seinem Gesicht sprach Arroganz, und der Mund schien einen Hauch von Zügellosigkeit anzudeuten. Der machte es leicht vorstellbar, daß, wenn Rhys in St. Giles eine Hure besucht hatte, Duke Kynaston vielleicht sein Gefährte gewesen sein mochte. War er in jener Nacht dort gewesen? In einem dunklen Winkel seiner Gedanken lauerte das Wissen um Monks Fall, etwas, das er am liebsten nicht in sein Bewußtsein eindringen lassen wollte. Das Wissen um jene von Armut geschlagenen Frauen, die sich nach Feierabend als Prostituierte verdingten. Aber das war in Seven Dials gewesen, noch hinter Oldwich. War es vielleicht doch denkbar, daß Rhys und seine Gefährten für diese Übergriffe verantwortlich waren und daß sie diesmal nicht auf ein wehrloses Opfer gestoßen waren, sondern auf eine Frau, die einen Bruder oder Ehemann hatte, der nicht so betrunken war, wie sie es vermutet hatten? Vielleicht war es sogar eine ganze Gruppe von Männern gewesen, die die Frau im Auge behalten hatte? Das würde die Gewalttätigkeit des Angriffes erklären. Und Leighton Duff hatte etwas Derartiges befürchtet und war seinem Sohn gefolgt, so daß er plötzlich den vollen Preis gezahlt hatte. Daß er gestorben war, um das Leben seines Sohnes zu retten?
Kein Wunder, daß Rhys Alpträume hatte und nicht sprechen konnte! Das war eine Erinnerung, mit der kein Mann würde leben können.
Evan betrachtete das recht oberflächlich wirkende Gesicht des jungen Duke Kynaston, in dem sich das Bewußtsein von Jugend, Kraft und Geld so deutlich abzeichnete. Aber er sah keine Verletzungen in diesem Gesicht, weder verheilte noch langsam verblassende, keine Schnitte oder Kratzer, bis auf eine schwache Narbe an der Wange. Die mochte durchaus auf einen Ausrutscher der Rasierklinge zurückzuführen sein, wie er jedem jungen Mann einmal unterlaufen konnte.
»Also, was können wir Ihnen Ihrer Meinung nach erzählen?« fragte Duke mit einer Spur von Ungeduld.
»St. Giles ist ein großer Bezirk…«, begann Evan.
»So groß nun auch wieder nicht«, widersprach Duke. »Eine Meile im Quadrat oder so.«
»Sie kennen es also?« sagte Evan mit einem Lächeln.
Duke errötete. »Ich habe davon gehört, Mr. Evan. Das ist nicht dasselbe.« Aber sein Ärger verriet ihm, er wußte sehr wohl, daß er sich verraten hatte.
»Dann ist Ihnen gewiß klar, daß dieser Bezirk nicht bevölkert ist«, fuhr Evan fort, »mit Menschen, bei denen es höchst unwahrscheinlich ist, daß sie uns irgendwie behilflich sein wollen. Es gibt dort sehr viel Armut, und Verbrechen sind an der Tagesordnung. Es ist ungewöhnlich, daß ein Gentleman dort hingeht. Der Bezirk ist übervölkert, schmutzig und gefährlich.«
»Das habe ich gehört.«
»Sie selbst sind nie dort gewesen?«
»Nie. Wie Sie sagten, es ist kein Ort, an dem sich ein Gentleman aufhalten möchte.« Dukes Lächeln wurde breiter.
»Wenn ich auf der Suche nach billiger Unterhaltung wäre, würde ich nach Haymarket gehen. Ich hätte gedacht, daß Rhys es ebenso halten würde, aber da habe ich mich vielleicht geirrt.«
»Er ist nie mit Ihnen zusammen in Haymarket gewesen?« fragte Evan freundlich. Zum ersten Mal zögerte Duke.
»Ich kann mir kaum vorstellen, daß meine Vergnügungen Sie etwas angehen, Mr. Evan. Aber nein, ich bin mindestens ein Jahr lang nicht mit Rhys in Haymarket gewesen und auch sonst nirgendwo. Ich habe keine Ahnung, was er in St. Giles zu suchen hatte.«
Duke begegnete Evans Blick mit ruhigen, trotzigen Augen. Evan hätte seine Worte gern angezweifelt, aber er hatte das Gefühl, daß sie im wesentlichen der Wahrheit entsprachen, auch wenn irgendwo unausgesprochen eine Lüge liegen mochte. Es war sinnlos, diesbezüglich weiter in ihn zu dringen. Duke war offensichtlich nicht bereit, irgend etwas dazu zu
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