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Stimmen aus dem Nichts

Stimmen aus dem Nichts

Titel: Stimmen aus dem Nichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andre Minninger
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»Sollten wir nicht mal auf der Toilette nachschauen?«
    Nachdem er diese Frage ausgesprochen hatte, herrschte für einige Sekunden peinliche Stille. Dr. Miller reagierte als Erste. Ihre ohnehin schon dünnen Lippen verengten sich zu einem schmalen Strich, bevor sie Justus scharf anfuhr. »Ich denke nicht, dass Sie sich da einmischen müssen, junger Mann. Mrs Holligan befindet sich bei uns in ärztlicher Behandlung. Sie sollte sich einige Minuten ausruhen und alles andere Dr. Franklin überlassen.«
    »Aber der junge Mann hat Recht!«
    Justus fuhr erschrocken herum und blickte in das entschlossene Gesicht eines älteren Herrn. Unter seinem rechten Arm klemmte eine Aktentasche, die seine knochigen Finger mit festem Griff umschlossen. »Wieso packt man das Problem nicht direkt beim Schopf und sieht. . . ähm. . . auf der Toilette mal nach?«
    Offenbar gefiel es Dr. Miller gar nicht, dass ein Außenstehender ihre psychologische Kompetenz in Frage stellte. »Mr Brian«, begann sie, »Sie haben sich doch einen Termin bei Dr. Hendrixen geben lassen, oder? Wir alle wissen, dass er für allgemeine Medizin zuständig ist. Sie sind bei ihm Patient, ebenso dieser junge Mann hier.« Mit ihrem langen Zeigefinger deutete sie auf Justus. »Diese Patientin jedoch«, der Finger veränderte seine Position um 90 Grad und zeigte nun unmissverständlich in Mrs Holligans Richtung, »unterliegt ausschließlich Dr. Franklins Obhut. Überlassen wir also der Spezialistin die Entscheidung.«
    Justus warf einen Blick zur Tür von Dr. Franklins Sprechzimmer und sah auf das Schild, auf dem die Bezeichnung ›Psychotherapeutin‹ stand.
    Dr. Miller schob ihre Goldrandbrille auf die Nasenspitze und warf dem Herrn mit der Aktentasche über ihre Brille hinweg einen wütenden Blick zu.
    Es herrschte bedrückendes Schweigen unter den Patienten. Plötzlich erhob sich eine junge Frau von ihrem Stuhl, schob ihren neben sich stehenden Kinderwagen zur Seite und ging gezielt auf Dr. Miller zu. »Ich weiß zwar nicht, was sich vor wenigen Minuten hinter dieser Toilettentür abgespielt hat, aber zumindest interessiert mich das weitaus mehr, als von Ihnen hinausposaunt zu hören, wer bei wem in dieser Gemeinschaftspraxis in Behandlung ist!«
    Dr. Miller öffnete ihren Mund und war im Begriff, die junge Frau in ihre Schranken zu verweisen. Doch dazu kam es nicht, denn die Frau ergriff selbst die Initiative und steuerte direkt auf die Tür zu, an der ein Messingschild mit der Aufschrift ›Ladys‹ angebracht war. Auch Mrs Holligan erhob sich von ihrem Stuhl, um mit besorgtem Gesichtsausdruck der jungen Mutter zu folgen, die die Klinke der WC-Tür schon in der Hand hatte.
    »Gehen Sie nicht allein!« Ihre Stimme klang brüchig. »Ich flehe Sie an!«
    Mit einem Lächeln deutete die Frau auf ihren Kinderwagen. »Passen Sie solange auf meinen Jüngsten auf. Und wenn ich hinter dieser Tür tatsächlich ihre Schwester antreffen sollte, dann bin ich gespannt zu hören, wie sie sich die letzte halbe Stunde die Zeit vertrieben hat. So lange sitze ich nämlich schon hier im Wartezimmer. Und außer Ihnen hat seither niemand die Toilette betreten.«
    Justus sah zu Dr. Miller, deren Mund noch immer offen stand und schob seinen beleibten Körper an der sprachlosen Ärztin vorbei. »Warten Sie. Ich gehe mit!«
    Aber so leicht gab sich die Ärztin nicht geschlagen. Ihre Gesundheitsschuhe klapperten energisch über die Fliesen und gaben ihrem herrischen Wesen die passende akustische Untermalung. Sie erwischte Justus am Pullover und zog ihn bestimmt zurück. »Auf der Damentoilette haben Sie nichts verloren! Ich werde mitgehen.«
    Als wäre dies eine Aufforderung gewesen, erhoben sich zwei weitere Frauen von ihren Stühlen und näherten sich neugierig dem Raum, dem in den letzten fünf Minuten die größte Aufmerksamkeit gegolten hatte. Sie blieben jedoch vorsichtig davor stehen und spähten hinein.

Feuchte Hände
    Im Inneren des WCs blieb alles ruhig. Justus’ Ohren waren wie eine Parabolschüssel auf die Damentoilette gerichtet. Er   vernahm nur das Klappern von Dr. Millers Sandalen. Dann herrschte für einige Sekunden Stille, bis Justus plötzlich die Ärztin hörte. Dr. Miller sprach zwar leise, doch Justus’ geschulte Ohren konnten jedes Wort verstehen. »Ich kann Ihre Gefühle gut nachempfinden, junge Frau. Man sollte selbstverständlich in jedem Fall einer solchen Sache nachgehen. Bei dieser Patientin verhält sich die Lage jedoch etwas anders.«
    »Was soll das

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