Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stimmen der Angst

Stimmen der Angst

Titel: Stimmen der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
Vom Netzwerk:
nächste Mal«, sagte er, »bringe ich wieder meine Videokamera mit und wir nehmen noch einen Film auf. Erinnerst du dich an den ersten, den ich von dir gemacht habe?«
    Susan schüttelte den Kopf.
    »Weil ich dir verboten habe, dich daran zu erinnern. Du hast dich derartig erniedrigt, dass die Erinnerung daran vielleicht Selbstmordgedanken bei dir ausgelöst hätte. Für einen Selbstmord ist die Zeit aber noch nicht gekommen.«
    Ihr Blick wanderte von ihm weg. Sie sah zu dem BonsaiBäumchen in der Schale auf dem Biedermeier-Blumenständer hinüber.
    »Wir machen noch eine Kassette als Erinnerung an dich«, sagte er. »Das nächste Mal. Ich habe mir dafür etwas ganz Besonderes ausgedacht. Das nächste Mal wirst du ein sehr schmutziges kleines Mädchen sein, Susie. Dagegen wird das erste Band wie ein Disney-Film wirken.«
    Es war nicht gerade klug von ihm, seine grausamsten Marionettenspiele auf Videobändern zu dokumentieren. Zwar bewahrte er dieses Belastungsmaterial – das sich gegenwärtig auf 121 Videokassetten belief – in einer verschlossenen und vor neugierigen Blicken sicher verborgenen Geheimkammer auf, aber wenn die falschen Leute Wind von seiner Existenz bekamen, würden sie sein Haus Diele für Diele und Stein für Stein niederreißen und nicht ruhen, bis sie sein geheimes Archiv gefunden hatten.
    Er nahm dieses Risiko aber auf sich, weil er im Grunde seines Herzens ein sentimentaler Mensch war, erfüllt von einer nostalgischen Sehnsucht nach alten Zeiten, alten Freunden, abgelegten Spielsachen.
    Das Leben gleicht einer Zugfahrt, und an jedem Bahnhof, den wir passieren, steigen Menschen aus, die uns wichtig sind und die wir nie wieder sehen werden, bis wir am Ende der Reise in einem Abteil sitzen, dessen Bänke fast völlig verwaist sind. Diese Erkenntnis machte den Arzt nicht weniger traurig als andere Menschen, die einen Hang zur Nachdenklichkeit haben – obwohl sein Kummer zugegebenermaßen anderer Natur war.
    »Sieh mich an, Susan!«
    Sie sah weiter unverwandt die Topfpflanze auf dem Blumenständer an.
    »Sei nicht störrisch. Sieh deinen Vater an, auf der Stelle! «
    Ihr tränenverschwommener Blick löste sich von dem filigranen Bäumchen, und mit dem Blick sandte sie die flehentliche Bitte aus, ihr wenigstens ein letztes Quäntchen Würde zuzugestehen, eine Bitte, die Dr. Ahriman amüsiert und erfreut zur Kenntnis nahm, gleichwohl aber in den Wind schlug.
    Zweifellos würde der sentimentale Arzt, wenn Susan Jagger erst tot war, einen Abend lang liebevoll an sie denken, und dann würde ihn eine wehmütige Sehnsucht überkommen, noch einmal ihre melodische Stimme zu hören, ihr anmutiges Gesicht zu sehen, die schönen Zeiten, die sie miteinander hatten, noch einmal zu durchleben. Das war seine Schwäche.
    An jenem Abend würde er sich selbst verwöhnen, indem er Zuflucht bei seinem Videoarchiv suchte. Es würde ihn mit einem warmen Glücksgefühl erfüllen, Susan in Situationen zu sehen, die so schmutzig und abstoßend waren, dass sie sich darin kaum weniger dramatisch veränderte als ein Werwolf bei Vollmond. In diesem Pfuhl der Obszönität würde ihre strahlende Schönheit bis an den Punkt verblassen, an dem der Arzt das archaische Tier deutlich sehen konnte, das in ihr wohnte, die urzeitliche Kreatur, auf dem Bauch kriechend und doch verschlagen, ängstlich und beängstigend zugleich, ein bis in sein Innerstes dunkles Wesen.
    Abgesehen davon, würde er diese Filme selbst dann aufbewahren, wenn es ihm nicht solches Vergnügen bereiten würde, sie zu betrachten, weil er nämlich eine unverbesserliche Sammlernatur war. Jeder einzelne Raum in seinem großen Haus war ein Museum, gewidmet den Schätzen, die er im Lauf der Jahre so unermüdlich zusammengetragen hatte: Armeen von Spielzeugsoldaten; hübsche handbemalte Spritzguss-Spielzeugautos; mechanische Spardosen mit automatischem Münzeinwurf; Spiele mit Tausenden kleiner Plastikfigürchen, von römischen Gladiatoren bis zu futuristisch anmutenden Astronauten.
    »Steh auf, Mädchen!«
    Sie erhob sich vom Bett.
    »Dreh dich um!«
    Langsam drehte sie sich um, ganz langsam, damit er sie begutachten konnte.
    »O ja«, sagte er, »für die Nachwelt will ich mehr von dir auf Band. Und das nächste Mal vielleicht ein bisschen Blut, eine harmlose kleine Selbstverstümmelung. Ja, Körperflüssigkeiten könnten überhaupt das Thema sein. Sehr schmutzig, sehr degeneriert. Das dürfte lustig sein. Du bist sicher auch dieser Meinung.«
    Wieder wanderte ihr

Weitere Kostenlose Bücher