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Stimmen der Angst

Stimmen der Angst

Titel: Stimmen der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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fragte Dusty.
    Mit einem Achselzucken hob Skeet den Kopf und sah mit einem so dümmlich ehrfürchtigen Lächeln zu den über ihm kreisenden Krähen hoch, dass man ihn für einen überzeugten Naturfreak hätte halten können, der den Tag mit einem Glas frisch gepresstem Orangensaft aus biologischem Anbau, einem zuckerfreien Hafermuffin, einem Tofu-Omelett und einem strammen Fünfzehn-Kilometer-Fußmarsch begrüßt hatte.
    »Versuch dich zu erinnern, was du genommen hast«, sagte Dusty drängend.
    »Alles Mögliche«, sagte Skeet. »Pillen und Pulver.«
    »Aufputscher, Beruhigungsmittel?«
    »Beides vermutlich. Und noch mehr. Aber mir geht’s nicht schlecht.« Er wandte den Blick von den Krähen ab und legte Dusty die rechte Hand auf die Schulter. »Ich fühle mich nicht mehr wie ein Stück Dreck. Ich bin mit mir im Reinen, Dusty.«
    »Ich würde trotzdem gern wissen, was du geschluckt hast.«
    »Wozu? Es könnte das leckerste Rezept aller Zeiten sein, und du würdest es doch nicht anrühren.« Skeet grinste und zwickte Dusty liebevoll in die Wange. »Du doch nicht. Du bist anders als ich.«
    Motherwell kam mit einer zweiten Doppelbettmatratze aus dem Haus und legte sie neben der ersten ab.
    »Das ist doch albern«, sagte Skeet und deutete über die steile Dachschräge zu den Matratzen hinunter. »Ich springe einfach so, dass ich rechts oder links davon lande.«
    »Hör zu, du wirst keinen Kopfsprung in die Auffahrt der Sorensons machen«, sagte Dusty bestimmt.
    »Denen kann das egal sein. Die sind doch in Paris.«
    »London.«
    »Wo auch immer.«
    »Und es wird ihnen nicht egal sein. Sie werden stocksauer sein.«
    »Was denn«, sagte Skeet und kniff die triefenden Augen zusammen, »sind die wirklich so unlocker?«
    Unter ihnen debattierte Motherwell mit dem Wachmann. Dusty hörte ihre Stimmen, konnte aber nicht verstehen, was sie sagten.
    Skeets Rechte lag immer noch auf Dustys Schulter. »Dir ist kalt.«
    »Nein«, sagte Dusty. »Es geht schon.«
    »Du zitterst aber.«
    »Nicht vor Kälte. Vor Angst.«
    »Du?«, fragte Skeet ungläubig. Sein eben noch verschwommener Blick war plötzlich klar. »Du hast Angst? Wovor?«
    »Höhenangst.«
    Zusammen mit dem Wachmann kehrte Motherwell ins Haus zurück. Motherwell hatte – so sah es zumindest von oben aus – den Arm um den Rücken des anderen gelegt, als wollte er ihn halb ins Haus tragen, halb schieben, damit es schneller ging.
    »Höhenangst?« Skeet starrte ihn mit offenem Mund an. »Aber immer, wenn es etwas auf einem Dach zu tun gibt, bestehst du doch darauf, es selbst zu machen.«
    »Immer mit flauem Magen.«
    »Mach keine Witze. Du hast vor nichts Angst.«
    »Habe ich wohl.«
    »Du doch nicht.«
    »Doch, ich.«
    »Nicht du!«, brauste Skeet auf, der plötzlich wütend zu sein schien.
    »Sogar ich.«
    Gequält zog Skeet, dessen Stimmung in Sekundenschnelle umgeschlagen war, die Hand von Dustys Schulter zurück, schlang die Arme um die Knie und begann sich auf dem schmalen Sitz, den ihm die Abschlussziegel des Dachfirsts boten, vor und zurück zu wiegen. In seiner Stimme lag ein so qualvoller Schmerz, als hätte Dusty nicht seine Höhenangst eingestanden, sondern ihm soeben eröffnet, dass er Krebs im Endstadium hatte: »Nicht du, nicht du, nicht du, nicht du …«
    Möglicherweise würden bei Skeet in seiner jetzigen Verfassung ein paar wohlwollende Worte des Mitgefühls gut anschlagen; wenn er aber den Eindruck hatte, man wolle ihm Honig um den Bart schmieren, neigte er dazu, trotzig, abweisend und sogar feindselig zu werden, was schon unter normalen Umständen unangenehm war, in luftiger Höhe von zwölf Metern jedoch ausgesprochen gefährlich werden konnte. Im Allgemeinen kam man bei ihm mit Autorität, Humor und nüchterner Wahrheit weiter.
    In Skeets Nicht-du -Litanei hinein sagte Dusty: »Du bist ein echter Schlappschwanz.«
    » Du bist der Schlappschwanz.«
    »Irrtum. Du bist der Schlappschwanz.«
    »Du bist der totale Schlappschwanz«, sagte Skeet.
    Dusty schüttelte den Kopf. »Nein, ich bin der psychische Progeriker.«
    »Der was?«
    » Psychisch heißt ›die Psyche oder den Geist betreffend‹. Ein Progeriker ist einer, der ›unter Progerie leidet‹, einer angeborenen Krankheit, die sich durch vorzeitiges, rasches Altern äußert, sodass der Betroffene schon als Kind wie ein Greis aussieht.«
    Skeet nickte eifrig mit dem Kopf. »He, genau, ich hab mal in 60 Minutes einen Bericht darüber gesehen.«
    »Ein psychischer Progeriker ist also ein Mensch,

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