Stimmen der Angst
völlig verfallen waren, indem er sie nämlich voller Berechnung einem Wechselbad der Gefühle zwischen romantischer Liebe und Verrat aussetzte, womit er ihnen wesentlich mehr Tränen entlocken konnte, als es ihm in früheren Zeiten mit allem Kneifen, Boxen, An-den-Haaren-Ziehen und InSchlammpfützen-Schubsen gelungen war.
Nach Jahrzehnten des emotionalen Sadismus waren sie jedoch keinen Deut reizvoller für ihn als in den längst vergangenen Kindergartentagen, als er ihnen heimlich Raupen in die Bluse gesteckt hatte. Nach wie vor fand er Frauen eher nervtötend als anziehend, und er verspürte immer eine leise Übelkeit, nachdem er sich mit ihnen eingelassen hatte. Die Tatsache allerdings, dass sie ihn in gewisser Weise auch faszinierten, steigerte seine Abneigung eher noch. Um die Sache noch schlimmer zu machen, gaben sie sich nicht mit bloßem Sex zufrieden; sie wollten, dass man der Vater ihrer Kinder wurde. Ihm lief es bei dem Gedanken an eine mögliche Vaterschaft immer kalt den Rücken hinunter. Bei einer Gelegenheit wäre er um ein Haar in diese Falle geraten, aber das Schicksal hatte es gut mit ihm gemeint, und er war noch einmal davongekommen. Man konnte Kindern nicht über den Weg trauen. Sie schlichen sich einem ins Herz, und wenn man es dann am wenigsten erwartete, töteten sie einen und stahlen einem alle Besitztümer. Der Arzt kannte sich aus mit dieser Art von Verrat. Und wenn man eine Tochter hatte, verschworen sich Mutter und Kind unweigerlich auf Schritt und Tritt gegen einen. In den Augen des Arztes gehörten die Männer dieser Welt zu einem anderen – und minderwertigeren – Menschenschlag als er selbst, Frauen dagegen waren eine völlig andere Spezies, nicht einfach nur ein anderer Menschenschlag; Frauen waren fremde, absolut unbegreifliche Wesen.
Als Susan vor ihm stand, hob er eine Faust.
Sie schien keine Angst zu haben. Ihr Ich war so gründlich unterdrückt, dass sie keine Gefühlsregung zeigen konnte, solange er es ihr nicht befahl.
»Ich könnte dir das Gesicht grün und blau schlagen.«
Ihm war bewusst, dass seine Stimme einen kindischen, wehleidigen Tonfall hatte, aber es störte ihn nicht. Er verfügte über genügend Selbsterkenntnis, um zu wissen, dass er während seiner Machtspiele regredierte, dass er auf eine frühere, kindlichere Stufe seiner Entwicklung zurückfiel. Diese Regression empfand er keineswegs als peinlich oder beängstigend; sie war vielmehr unumgänglich, wenn er den Moment des Erlebens voll ausschöpfen wollte. Die Erfahrungen des Lebens hatten die Empfindungsfähigkeit des Erwachsenen abgestumpft; aber als Kind besaß er noch die köstliche Fähigkeit des naiven Staunens, konnte über seinen Einfallsreichtum beim Ersinnen aller möglichen Varianten des Machtmissbrauchs noch in Verzückung geraten.
»Ich könnte dir so in die Fratze hauen, dass du für immer entstellt bist.«
Susan, tief in seinem Bann, blieb völlig ruhig. Der REMAnfall, der für ein paar Sekunden von ihr Besitz ergriff, stand in keinem Zusammenhang mit seiner Drohung.
Jetzt galt es, äußerste Vorsicht und Zurückhaltung walten zu lassen. Schlug er sie, würde er damit ein Risiko eingehen. Ihr Tod würde, wenn er richtig inszeniert war, keine Mordermittlungen nach sich ziehen. Wenn sie aber Spuren äußerer Gewalteinwirkung aufwies, war Selbstmord nicht mehr besonders glaubwürdig.
»Ich kann dich nicht mehr leiden, Susie. Ich kann dich überhaupt nicht mehr leiden.«
Sie schwieg, weil er ihr nicht befohlen hatte, zu antworten.
»Ich gehe davon aus, dass du noch nicht die Polizei gerufen hast. Sag mir, ob das richtig ist.«
»Es ist richtig.«
»Hast du mit irgendjemandem über das Videoband, das im Fernseher läuft, gesprochen?«
»Habe ich das?«
Der Arzt rief sich mahnend in Erinnerung, dass ihre Reaktion kein Zeichen der Aufsässigkeit war, sondern dass sie programmiert war, auf diese Weise auf Fragen zu reagieren, wenn sie sich im Zentrum ihrer inneren Kapelle befand. Er ließ die Faust sinken und öffnete sie langsam. »Antworte mit ja oder nein, ob du mit irgendjemandem über das Videoband, das im Fernseher läuft, gesprochen hast.«
»Nein.«
Erleichtert führte er sie am Arm zum Bett. »Setz dich hin, Mädchen!«
Sie setzte sich mit krampfhaft geschlossenen Knien und im Schoß gefalteten Händen auf die Bettkante.
Der Arzt unterzog sie einem minutenlangen Verhör, wobei er seine Fragen in die Form von Feststellungen und Befehlen kleidete, bis er begriff, warum sie
Weitere Kostenlose Bücher