Stimmen der Angst
sich die Falle mit der Videokamera ausgedacht hatte. Sie wollte Beweise gegen Eric in der Hand haben, nicht gegen ihren Psychiater.
Obwohl die Erinnerung an das Erlebte nach jeder derartigen Begegnung aus Susans Gedächtnis gestrichen wurde, musste sie beim Erwachen unweigerlich etwas davon ahnen, dass sie sexuell missbraucht worden war, und wenn er sich nicht die Mühe machen wollte, jeden Tropfen, den er ausgeschwitzt und in höchster Lust abgesondert hatte, zu entfernen, musste sie ebenso unweigerlich Spuren entdecken, die ihren Verdacht bestätigten. Ahriman verzichtete bewusst auf solche postkoitalen Säuberungsaktionen, weil diese sein Vergnügen geschmälert und die angenehme Illusion zerstört hätten, dass seine Macht und sein Einfluss grenzenlos waren. Wo blieb der Reiz einer Tortenschlacht oder eines blutigen Mordes, wenn man hinterher die Wände reinigen und die Fußböden scheuern musste?
Er war schließlich ein Abenteurer, kein Putzmann.
Ihm standen viele Möglichkeiten zur Verfügung, Susans Verdacht aus der Welt zu schaffen oder in die falsche Richtung zu lenken. Am einfachsten wäre es gewesen, ihr zu sagen, sie solle beim Aufwachen die Zeichen des Missbrauchs nicht beachten und selbst die offensichtlichsten Spuren des Geschlechtsverkehrs schlichtweg übersehen.
Wenn ihm nach einem kleinen Scherz zumute gewesen wäre, hätte er ihr auch die Überzeugung einpflanzen können, eine glutäugige Ausgeburt der Hölle habe sie heimgesucht, um mit ihr den Antichrist zu zeugen. Durch solche Erinnerungen an einen teuflischen nächtlichen Liebhaber mit harter, lederner Haut, Schwefelatem und einer gespaltenen schwarzen Zunge hätte er ihr buchstäblich die Hölle auf Erden bereiten können.
Dass Ahriman diese Klaviatur beherrschte, hatte er bei anderen Patientinnen bewiesen; er hatte auf der Harfe des Aberglaubens geklimpert und das Leben dieser Frauen zerstört, indem er ihnen eine unüberwindliche Demonophobie, eine panische Angst vor Dämonen und Teufeln, eingepflanzt hatte. Es war für ihn ein höchst unterhaltsamer Spaß, der aber zeitlich begrenzt war. Diese Art von Phobie hatte ein hohes zerstörerisches Potenzial und konnte schneller als alle anderen Arten zum psychischen Zusammenbruch und zum endgültigen Wahnsinn führen. Aus diesem Grund war sie für Ahriman auf Dauer eigentlich auch nicht wirklich befriedigend, denn er fand die Tränen der geistig Umnachteten, die sich ihrer Qualen nicht mehr bewusst waren, nicht annähernd so belebend wie die der weniger Verrückten, die sich die Hoffnung auf Gesundung noch bewahrt hatten.
Aus der Fülle der Möglichkeiten schöpfend, hatte sich der Arzt entschlossen, Susans Verdacht auf ihren treulosen Ehemann zu lenken. Dieses Spiel, mit dem er sich derzeit vergnügte und für das er sich ein besonders blutiges und kompliziertes Szenario ausgedacht hatte, sollte in einem Rausch der Gewalt enden, der im ganzen Land für Schlagzeilen sorgen würde. Mit den Einzelheiten dieses Schlussakts, in dem Eric entweder als einer der Haupttäter oder als Opfer hervortreten würde, war Ahriman in Gedanken ständig beschäftigt.
Indem er Susans Verdacht auf Eric lenkte und ihr dann verbot, ihn zur Rede zu stellen, hatte er ihr eine straff angezogene Feder innerer Spannung einverleibt. Diese Feder zog sich von Woche zu Woche enger zusammen, bis Susan kaum noch imstande sein würde, die explosive emotionale Kraft, die in ihr steckte, zurückzuhalten. In dem verzweifelten Wunsch, sich dieser Spannung zu entledigen, hatte Susan also Beweise für die Schuld ihres Ehemanns gesucht, die so eindeutig und überzeugend waren, dass sie vor der Polizei Bestand hatten, um auf diese Weise die verbotene Konfrontation mit Eric umgehen zu können.
Normalerweise wäre es gar nicht erst so weit gekommen, weil der Arzt niemals so lange mit einem Menschen spielte, wie er es mittlerweile mit Susan tat. Es war jetzt immerhin eineinhalb Jahre her, dass er sie mithilfe von Drogen programmiert hatte, und bereits seit sechzehn Monaten war sie seine Patientin. Sonst wurde ihm das Spiel spätestens nach einem halben Jahr langweilig, manchmal auch schon nach zwei, drei Monaten. Dann heilte er die betreffende Patientin entweder von der Phobie oder der Wahnvorstellung, die er ihr überhaupt erst eingeimpft hatte, und mehrte so seinen Ruhm als herausragender Therapeut – oder er inszenierte einen Tod, der spektakulär genug war, einen gewieften Spieler seines Kalibers zu befriedigen. Von Susans
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