Stimmen der Angst
Vorstellung, mit fremden Menschen mitgehen zu müssen, war momentan jedoch so entsetzlich, dass sie nicht einmal daran denken mochte, auch wenn diese Fremden Polizisten waren. Sie brauchte eine Freundin an ihrer Seite, eine Person, der sie ihr Leben anvertraut hätte, denn wenn sie in die Welt hinausging, kam das für sie dem Tod so nah wie nur das Sterben selbst.
Als sie Marties Nummer wählte, schaltete sich deren Anrufbeantworter ein. Sie wusste zwar, dass das Telefon im Schlafzimmer der Rhodes’ nachts auf stumm geschaltet wurde, aber es war immerhin denkbar, dass einer der beiden vom Klingeln in der Diele aufwachte und in Marties Arbeitszimmer hinüberging, um zu sehen, wer die Stirn hatte, zu dieser unchristlichen Stunde anzurufen.
Nach dem Signalton sagte Susan: »Martie, ich bin’s. Bist du da?« Sie wartete einen Moment. »Hör zu, wenn du da bist, geh um Gottes willen ran!« Nichts. »Es ist nicht Eric, Martie. Es ist Ahriman! Es ist Ahriman . Ich hab das Schwein auf Video. Dieser Schweinehund – nach dem tollen Geschäft, das er mit seinem Haus gemacht hat. Martie, bitte, bitte, ruf mich an! Ich brauche dich!«
Als sie auflegte, spürte sie eine neuerliche Welle der Übelkeit in sich aufsteigen.
Auf der Bettkante sitzend, biss Susan die Zähne zusammen, legte eine kühlende Hand in den Nacken und die andere auf den Magen. Der Anfall von Übelkeit ging vorüber.
Sie warf einen Blick auf den Fernseher – und wandte abrupt den Kopf ab.
Dann starrte sie unverwandt das Telefon an, als könnte sie es kraft ihres Willens zwingen zu klingeln. »Martie, bitte! Ruf mich an! Bitte, beeil dich!«
Das halb volle Glas Wein stand seit Stunden unberührt auf dem Nachttisch. Jetzt leerte sie es mit einem Zug.
Gleich darauf öffnete sie die oberste Schublade des Tischchens und nahm die Pistole heraus, die sie dort zu ihrem Schutz aufbewahrte.
Soweit ihr bekannt war, stattete Ahriman ihr in einer Nacht niemals zwei Besuche ab. Soweit ihr bekannt war.
Plötzlich wurde ihr bewusst, wie absurd dieser eine Satz war, den sie Martie auf den Anrufbeantworter gesprochen hatte: Dieser Schweinehund – nach dem tollen Geschäft, das er mit seinem Haus gemacht hat . Vor achtzehn Monaten hatte sie Ahriman sein gegenwärtiges Domizil vermittelt, zwei Monate bevor sich die ersten Angstattacken bei ihr bemerkbar gemacht hatten. Sie war die Maklerin des Verkäufers gewesen, und Ahriman war bei einer Hausbesichtigung aufgetaucht und hatte sie gebeten, auch seine Interessen als Käufer zu vertreten. Es war ihr verdammt gut gelungen, beiden Parteien gerecht zu werden, aber es war sicherlich reichlich verwegen, von einem Kunden, der ein völlig wahnsinnig gewordener, psychopathischer Vergewaltiger war, eine freundlichere Behandlung zu erwarten, nur weil sie sich ihm gegenüber als Immobilienmaklerin mit Moral präsentiert hatte.
Sie musste lachen, verschluckte sich, wollte Zuflucht im Wein suchen, stellte fest, dass er alle war, schob das Glas beiseite und hielt sich stattdessen an die Pistole. »Martie, ruf an! Bitte, ruf an!«
Das Telefon klingelte.
Sie legte die Pistole weg und griff hastig nach dem Hörer.
»Ja«, sagte sie.
Bevor sie weitersprechen konnte, sagte eine Männerstimme: »Ben Marco.«
»Ich höre.«
38. Kapitel
Nachdem Dusty den Traum aus dem Gedächtnis rekonstruiert hatte, wanderte er darin herum wie in einem Museum und betrachtete eingehend, eines nach dem anderen, die schauerlichen Bilder. Reiher am Fenster, Reiher im Zimmer. Lautlose Blitzschläge in einem Sturm ohne Donner und Regen. Messingbaum mit Traubenzuckerfrucht. Martie in tiefer Meditation.
Je länger er über den Albtraum nachdachte, umso stärker wuchs in ihm die Überzeugung, dass sich irgendwo tief in ihm eine monströse Wahrheit verbarg wie ein Skorpion, der in einem Satz ineinander passender Schachteln in der letzten und kleinsten lauert. Der spezielle Satz, um den es hier ging, bestand allerdings aus sehr vielen Schachteln, von denen sich etliche nur schwer öffnen ließen und die irgendwo immer noch den giftigen Stachel der Wahrheit enthielten.
Schließlich stand er frustriert auf und ging ins Badezimmer. Martie schlief so tief und war so sicher mit Dustys Krawatten an Händen und Füßen gefesselt, dass sie aller Wahrscheinlichkeit nach weder aufwachen noch seine Abwesenheit ausnutzen würde, um im Haus herumzuwandern.
Wenige Minuten später ging Dusty, während er am Waschbecken stand und sich die Hände wusch, urplötzlich ein
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