Stimmen der Angst
ihrer schwungvollen Handschrift niederschrieb. Er wusste genau, was in dem Brief zu stehen hatte und was nicht, damit auch der skeptischste Kriminalbeamte von seiner Echtheit überzeugt war.
Eine Schriftanalyse würde zwar ohnehin jeden Zweifel ausräumen, aber der Arzt nahm die Dinge, die er tat, äußerst genau.
Unter den gegebenen Umständen war es nicht leicht, die richtigen Formulierungen zu finden. Er hatte von dem Tsingtao einen säuerlichen Nachgeschmack im Mund. Hundemüde, mit brennenden, geröteten Augen und etwas benommen vom Schlafmangel, feilte er im Geist sorgsam an jedem Satz, bevor er ihn diktierte.
Auch Susans Gegenwart lenkte ihn ab. Vielleicht, weil er sie nie wieder besitzen würde, schien sie ihm mit einem Mal schöner als je zuvor in den langen Monaten ihrer Beziehung.
Fließendes Goldhaar. Grüne Feuerwerksaugen. Das Spielzeug kaputt.
Nein. Das war ein miserables Haiku. Peinlich. Es bestand aus siebzehn Silben im idealen Fünf-sieben-fünf-Rhythmus, das war aber auch alles.
Er brachte vielleicht hie und da einmal einen leidlich gelungenen Vers über eine achtlos zertretene Schnecke auf nasser Stufe und ähnliches Zeug zustande, aber wenn es darum ging, Worte zu finden, die das Äußere, die Stimmung, das Wesen einer Frau, irgendeiner Frau, ausdrückten, kam nur hilfloses Gestammel heraus.
Ein Fünkchen Wahrheit enthielt sein jämmerliches Haiku allerdings: Sie, dieses einst so herrliche Spielzeug, war tatsächlich kaputt. Obwohl äußerlich unversehrt und wunderschön, war sie zerbrochen, und er konnte sie nicht einfach mit Kleber reparieren wie einen Plastik-He-Man aus dem Figurenset der Masters of the Universe.
Mädchen. Wenn man sich auf sie verlässt, wird man immer enttäuscht.
Mit einer seltsamen Mischung aus sehnsüchtigem Verlangen und finsterem Überdruss diktierte er den Abschiedsbrief zu Ende und beugte sich dann über Susan, um zu sehen, wie sie ihren Namen darunter setzte.
Die Hände so zart. Stift mit elegantem Schwung. Abschied tränenlos.
Wieder Mist.
Der Arzt ließ den Block vorerst auf dem Tisch liegen und ging mit Susan in die Küche. Auf seinen Befehl hin holte sie einen Ersatzschlüssel aus der Schublade des Einbausekretärs, an dem sie ihre Einkaufslisten zu schreiben und Menüpläne zusammenzustellen pflegte. Er besaß zwar bereits einen Schlüssel zu ihrer Wohnung, hatte ihn aber nicht mitgebracht. Er steckte den neuen Schlüssel in die Tasche und kehrte ins Schlafzimmer zurück.
Das Videoband lief immer noch. Er forderte sie auf, das Gerät mit der Fernbedienung auszuschalten, dann ließ er sie die Kassette herausnehmen und auf den Nachttisch neben das leere Weinglas legen.
»Sag mir, wo du die Videokamera normalerweise aufbewahrst.«
Ihre Augen zuckten hin und her. Dann wurde ihr Blick wieder ruhig. »In einer Schachtel auf der oberen Ablage dieses Wandschranks«, sagte Susan und zeigte in die entsprechende Richtung.
»Pack sie bitte ein und räum sie weg!«
Um seinem Wunsch nachzukommen, musste sie die zweistufige Klappleiter aus der Küche holen.
Als Nächstes befahl er ihr, mit einem Handtuch aus dem Badezimmer die Nachttischchen, das Kopfteil des Betts und alle anderen Flächen, die er bei seinen Besuchen in ihrem Schlafzimmer berührt haben konnte, abzuwischen. Er überwachte sie bei dieser Arbeit, um sicher zu gehen, dass sie ihre Sache gründlich machte.
Da er es im Allgemeinen vermied, irgendetwas in der Wohnung anzufassen, machte sich Ahriman wenig Sorgen, dass man seine Fingerabdrücke außerhalb der beiden Räume, die ihr ureigenes Privatheiligtum ausmachten, finden würde. Nachdem Susan ihre Arbeit im Schlafzimmer beendet hatte, sah Ahriman ihr etwa zehn Minuten lang von der Tür aus zu, wie sie im Badezimmer Kacheln, Glas, Messing und Porzellan abwischte.
Als sie auch damit fertig war, faltete sie das Handtuch zweimal der Länge nach akkurat zusammen und hängte es Kante an Kante mit einem zweiten Handtuch, das in exakt der gleichen Weise gefaltet und aufgehängt war, auf eine Stange aus gebürstetem Messing. Der Arzt hielt viel auf Ordnung.
Sein Blick fiel auf den Slip, der zusammengefaltet auf dem Deckel des Wäschekorbs lag, und er wollte sie eben auffordern, ihn zur übrigen Schmutzwäsche in den Korb zu stopfen, als ihn eine innere Stimme dazu veranlasste, sie zu fragen, was es zu bedeuten hatte, dass er dort lag. Als er erfuhr, dass sie ihn zur Seite gelegt hatte, um der Polizei eine Probe für eine Genanalyse liefern zu
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