Stimmen der Angst
Harakiri.«
Er trank die restliche Milch aus und sagte: »Ich glaube, am normalsten – und wahrscheinlich am längsten – lebt man, wenn man sich alles anhört, was die Gesundheitsprediger verkünden, um dann genau das Gegenteil zu tun.«
»Und wenn sie nun morgen verkünden, dass es am gesündesten ist, massenweise Cheeseburger und Pommes zu essen?«
»Dann halte ich mich an Tofu und Alfalfasprossen.«
Als er ihr den Rücken zukehrte, um sein Glas zu spülen, rief sie in scharfem Ton: »He!«, worauf er sich beim Abtrocknen des Glases demonstrativ zu ihr umdrehte, damit sie sich nicht etwa von hinten anschleichen und ihn mit einer Dose Bohneneintopf erschlagen konnte.
Der übliche Morgenspaziergang mit Valet musste an diesem Tag ausfallen. Martie weigerte sich, allein im Haus zu bleiben. Und wenn sie zusammen gingen, hätte sie vermutlich ständig Angst, es könnte ihr einfallen, Dusty vor einen Lastwagen zu stoßen und Valet in die Häckselmaschine irgendeines Gärtners zu stopfen.
»Die Situation hat durchaus auch komische Seiten«, sagte Dusty.
»Sie ist alles andere als komisch«, widersprach sie grimmig.
»Wahrscheinlich stimmt beides.«
Er ließ den Hund zur Hintertür hinaus, damit dieser den Vormittag im Garten verbringen konnte. Draußen war es kühl, aber nicht richtig kalt. Der Wetterbericht hatte nichts von Regen verlauten lassen. Nachdem Dusty einen gefüllten Wassernapf auf die Veranda gestellt hatte, sagte er zu Valet: »Mach dein Geschäft, wo immer es dir gefällt, ich sammle es später auf, aber bilde dir bloß nicht ein, dass das zur Regel wird.«
Dann machte er die Tür zu, schloss sie ab und blickte zum Telefon, und genau in diesem Augenblick ereignete sich die seltsame Sache. Dusty und Martie begannen zu reden, beide zugleich und durcheinander.
»Martie, ich will nicht, dass du mich falsch verstehst …«
»Ich habe größtes Vertrauen zu Dr. Closterman …«
»… aber ich finde, wir sollten daran denken …«
»… aber mit den Testergebnissen kann es Tage dauern …«
»… eine zweite Meinung einzuholen …«
»… und so sehr mir der Gedanke auch widerstrebt …«
»… nicht bei einem anderen Allgemeinmediziner …«
»… halte ich es für besser, einen …«
»… sondern bei einem Therapeuten …«
»… Psychiater zu konsultieren …«
»… der sich mit Angststörungen auskennt …«
»… der mit solchen Dingen Erfahrung hat …«
»… jemand wie …«
»… ich könnte mir vorstellen …«
»… Dr. Ahriman.«
»… Dr. Ahriman.«
Sie sprachen den Namen wie aus einem Mund aus – und starrten sich in dem darauf folgenden Schweigen entgeistert an.
Schließlich sagte Martie: »Ich glaube, wir sind schon zu lange verheiratet.«
»Warte noch eine Weile, dann fangen wir wahrscheinlich an, uns ähnlich zu sehen.«
»Ich bin nicht verrückt, Dusty.«
»Das weiß ich doch.«
»Aber ruf ihn trotzdem an.«
Er ging zum Telefon und ließ sich von der Auskunft die Nummer von Ahrimans Praxis geben. Auf dem Anrufbeantworter dort hinterließ er eine Nachricht mit seiner Handynummer und der Bitte um einen Termin.
43. Kapitel
Das Schlafzimmer in Skeets Wohnung war so asketisch möbliert und kahl wie eine Mönchszelle.
Martie stand mit verschränkten Armen und fest unter die Oberarme geklemmten Händen in der Zimmerecke, in die sie sich zurückgezogen hatte, um ihren Aktionsradius für den Fall, dass plötzliche Mordgelüste über sie kamen, so gering wie möglich zu halten. »Warum hast du mir gestern Abend nichts davon erzählt? Der arme Skeet ist wieder in der Entzugsklinik, und das erfahre ich erst jetzt?«
»Du hattest genügend andere Sachen im Kopf«, sagte Dusty, während er die ordentlich zusammengelegte Wäsche in der Schublade einer Kommode durchsuchte, die von so strenger Einfachheit war, als stammte sie aus der Werkstatt eines Ordens, in dem man selbst die überaus schlichten ShakerMöbel als lästerlich verspielt empfand.
»Was suchst du … seine geheimen Dopevorräte?«
»Nein. Wenn er überhaupt noch Stoff hat, würde ich Stunden brauchen, um den zu finden. Ich suche nach … also, ich weiß eigentlich nicht, wonach ich suche.«
»Wir müssen in vierzig Minuten in Clostermans Praxis sein.«
»Da haben wir noch jede Menge Zeit«, sagte Dusty und verlagerte seine Suche auf die nächsthöhere Schublade.
»Ist er stoned zur Arbeit gekommen?«
»Allerdings. Er hat sich vom Dach der Sorensons gestürzt.«
»Oh Gott! Ist er schwer
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