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Stimmen der Angst

Stimmen der Angst

Titel: Stimmen der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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Briefkasten CAULFIELD durchgestrichen und handschriftlich den Namen FARNER daruntergesetzt hatte, spürte Dusty, wie Marties Hand allmählich wärmer wurde, und er wagte zu hoffen, dass er ihr tatsächlich würde helfen können.
    Ein Gärtner, der zu dieser frühen Stunde schon seiner Arbeit nachging, stopfte Zweige, die beim Heckenschneiden heruntergefallen waren, in einen Jutesack. Es war ein hübscher junger Latino mit Augen, die so dunkel waren wie Sojasoße. Er nickte ihnen lächelnd zu.
    Auf dem Rasen, nicht weit von der Stelle, wo er gerade beschäftigt war, lagen eine kleine Gartenschere und eine große, mit zwei Händen zu bedienende Heckenschere.
    Beim Anblick dieser Geräte stieß Martie einen erstickten Schrei aus. Sie riss sich von Dusty los und rannte – nicht etwa auf die potenziellen Mordwaffen zu, sondern von ihnen weg zu dem roten Saturn, der am Straßenrand geparkt war.
    »Disputa?«, fragte der Gärtner mitfühlend, als könnte er selbst ein trauriges Lied von seinen Erfahrungen mit streitsüchtigen Frauen singen.
    »Infinidad«, antwortete Dusty, schon im Davoneilen, und erst, als er das Auto erreicht hatte, wurde ihm bewusst, dass er statt enfermedad , was so viel wie »Krankheit« hieß, unwillkürlich »Unendlichkeit« gesagt hatte.
    Der Gärtner sah ihm nach, runzelte dabei aber nicht etwa verwundert die Stirn, sondern nickte feierlich, als hätte Dusty mit diesem irrtümlich ausgesprochenen Wort eine tief schürfende Wahrheit von sich gegeben.
    So kann der Ruf der Weisheit auf Fundamenten gründen, die dünner sind als der Boden, auf dem wir unsere Luftschlösser bauen.
    Als Dusty sich hinter das Steuer schob, saß Martie, so weit zusammengekrümmt, wie es das Armaturenbrett erlaubte, zitternd und vor sich hin stöhnend auf dem Beifahrersitz. Sie hatte die Hände krampfhaft zusammengepresst, als müsste sie sie festhalten, weil es in ihnen juckte vor Verlangen, Unheil anzurichten.
    In dem Moment, als er die Fahrertür zuzog, sagte sie: »Ist im Handschuhfach irgendein scharfer Gegenstand?«
    »Weiß ich nicht.«
    »Ist es abgeschlossen?«
    »Weiß ich nicht.«
    »Schließ es ab, um Himmels willen!«
    Er verschloss das Handschuhfach und ließ dann den Motor an.
    »Beeil dich«, bat sie inständig.
    »In Ordnung.«
    »Aber fahr nicht zu schnell.«
    »Ist gut.«
    »Aber beeil dich!«
    »Was denn nun?«, fragte er, während er langsam anfuhr.
    »Wenn du zu schnell fährst, könnte ich versuchen, dir ins Steuer zu greifen, und wir könnten von der Straße abkommen, uns überschlagen oder frontal mit einem Laster zusammenstoßen.«
    »Das würdest du bestimmt nicht tun.«
    »Ich könnte es tun«, sagte sie beharrlich. »Ich werde es tun. Du ahnst ja nicht, was in meinem Kopf vorgeht, welche Bilder ich im Kopf habe.«
    Die Wirkung der drei Schlaftabletten ließ jetzt von Sekunde zu Sekunde nach, während sich bei Dusty ein beständig stärker werdendes Sodbrennen von dem gezuckerten, puddinggefüllten Doughnut bemerkbar machte.
    »O Gott«, stöhnte sie. »Lieber Gott, bitte, bitte, lass mich diese Bilder nicht sehen, zwing mich nicht, sie zu sehen!«
    Zusammengesunken in ihrem furchtbaren Elend, sichtbar von Übelkeit geschüttelt angesichts der blutrünstigen Bilder, die ihr ohne ihr Zutun durch den Kopf schossen, fing Martie an zu keuchen und gleich darauf so heftig zu würgen, dass ihr sicher das Frühstück hochgekommen wäre, hätte sie an diesem Morgen überhaupt eines zu sich genommen.
    Auf den Straßen herrschte einigermaßen dichter morgendlicher Verkehr. Dusty wechselte immer wieder die Spur und zwängte sich mit manchmal riskanten Manövern in die Lücken, ohne den bösen Blicken und dem gelegentlichen empörten Hupen der anderen Fahrer Beachtung zu schenken. Martie befand sich auf einer emotionalen Schlittenfahrt und wurde in rasendem Tempo durch den Eiskanal katapultiert, an dessen Ende eine Panikattacke auf sie wartete. Wenn sie auf die Mauer prallte und einen ebenso schrecklichen Zusammenbruch wie am Vorabend erlitt, wollte Dusty möglichst nah bei Dr. Clostermans Praxis sein.
    Obwohl sich ihr Innerstes nach außen zu kehren schien, verschaffte ihr dies keine Erleichterung, nicht nur, weil ihr Magen leer war, sondern auch, weil das, was ihre Übelkeit verursachte, die unverdaulichen Bilder waren, die sich in ihrer Fantasie überschlugen, Bilder, die sie nicht ausspeien konnte. Vielleicht sammelte sich in ihrem Mund der Speichel, wie es bei Brechreiz üblich ist, denn sie spuckte

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