Stimmen der Angst
immer wieder auf den Wagenboden aus.
Zwischen den Brechanfällen schnappte sie wie eine Ertrinkende nach Luft, so tief, dass ihre Kehle nur von der Kraft des Atemholens ganz ausgetrocknet und wund sein musste. Dabei durchlief sie ein so heftiges Zittern, dass Dusty aus Solidarität ein Kälteschauer über den Rücken kroch, obwohl er sich nicht genau vorstellen konnte, welche grässlichen Fantasien sie quälten.
Das Gaspedal immer weiter durchtretend, wechselte er noch aggressiver und halsbrecherischer zwischen den Spuren hin und her, begleitet jetzt von einem wütenden Hupkonzert und dem regelmäßigen Quietschen der Reifen ausgebremster Fahrzeuge. Fast hoffte er, ein Streifenwagen würde ihn zum Anhalten zwingen. Angesichts der Verfassung, in der sich Martie befand, würde mit Sicherheit jeder Verkehrspolizist auf eine Anzeige verzichten und sie stattdessen mit Blaulicht und Sirenengeheul durch den Verkehr eskortieren.
Einer Verfassung, die sich zusehends verschlimmerte . Das krampfhafte Würgen war für den Augenblick vorbei, aber sie begann, sich stöhnend auf dem Sitz vor und zurück zu wiegen und mit der Stirn gegen das gepolsterte Armaturenbrett zu schlagen, zuerst leicht, langsam und vorsichtig, als wollte sie sich von den Schreckgespenstern ablenken, die ihren Kopf bevölkerten, dann immer fester, schneller und immer schneller, nicht mehr stöhnend, sondern mit kehligen Schreien wie ein Kraftsportler beim Boxtraining mit einem Sandsack, schneller, härter: »Ah, ah, ah, ah, aaahhh.«
Dusty redete auf sie ein, beschwor sie, sich zu beruhigen, nicht klein beizugeben, daran zu denken, dass er bei ihr war, dass er ihr vertraute und dass alles gut werden würde. Er wusste nicht, ob sie ihn überhaupt hörte. Seine Worte hatten keinerlei sichtbare Wirkung auf sie.
Am liebsten hätte er sie durch Streicheln beruhigt, aber er fürchtete, dass jede Berührung während eines solchen Anfalls nicht den gewünschten, sondern eher den gegenteiligen Effekt haben würde. Wenn sie seine Hand auf ihrer Schulter spürte, würde dies ihre Panik und ihren Ekel vielleicht auf den Gipfel treiben.
Dr. Clostermans Praxis befand sich in einem Ärztehochhaus, das an einen Klinikkomplex grenzte. Beide Gebäude ragten weithin sichtbar aus dem nächsten Häuserblock in den Himmel.
Obwohl das Armaturenbrett gepolstert war, würde sie sich unweigerlich wehtun, wenn sie nicht endlich aufhörte, mit dem Kopf dagegenzuschlagen, aber daran schien sie gar nicht zu denken. Sie stieß keine Schmerzensschreie aus, sondern grunzte und fluchte nur bei jedem Aufprall, haderte mit sich selbst – »Hör auf, hör auf, hör auf« – und wirkte dabei wie eine Besessene. Genauer gesagt, wirkte sie nicht nur wie eine Besessene, sondern gleichzeitig auch wie eine Exorzistin, die ihre eigenen Dämonen austreibt.
Der Parkplatz, der zu dem Ärztehaus gehörte, war von hohen Mandarinenhutbäumen überschattet, die in geraden Reihen die Wege säumten. Dusty fand in der Nähe des Gebäudeeingangs eine Parklücke unter einem Dach dichter Zweige.
Auch nachdem er den Wagen längst in die Parklücke gelenkt und die Handbremse angezogen hatte, wurde Dusty das Gefühl nicht los, immer noch zu fahren. In der morgendlichen Brise war die Windschutzscheibe mit flimmernden Laubschatten überzogen, durch die sich gleißende Sonnenstrahlen bohrten. Das Licht glitt nach beiden Seiten über die gebogene Glasfläche hinweg wie Blattfetzen, die vom Sog des Fahrtwindes mitgerissen wurden.
Als Dusty den Motor abstellte, hörte Martie auf, mit dem Kopf gegen das Armaturenbrett zu hämmern. Ihre Hände, die bis zu diesem Augenblick zwischen ihren fest zusammengepressten Schenkeln gefangen waren, flogen in die Höhe, und sie drückte beide Fäuste an die Schläfen, als wollte sie die Schmerzwellen einer Migräne zurückhalten, drückte so fest, dass sich die Haut über den Knöcheln spannte, bis sie so glatt und weiß wie der Knochen darunter war.
Sie stöhnte und fluchte nicht mehr und haderte auch nicht mehr mit sich selbst. Sie krümmte sich, schlimmer noch als zuvor, wieder zusammen und fing an zu schreien. Schrille Schreie, unterbrochen von gurgelndem Ringen nach Luft, als wäre sie ein Schwimmer, der unterzugehen drohte. In ihren Schreien lag blanke Angst. Aber auch Wut, Ekel und Entsetzen. Es waren Schreie, in denen Abscheu schwang wie bei einem Schwimmer, wenn er spürt, wie ihn unter Wasser etwas Unsichtbares, Kaltes und Glitschiges, etwas Grauenvolles
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