Stimmen der Angst
unausweichliche Tatsache.
Dusty nahm dennoch Veränderungen an Martie wahr, die Closterman bei allem Einfühlungsvermögen für seine Patienten nicht sehen konnte. Den düsteren Schatten in ihren Augen, der ihren sonst so strahlenden Blick trübte. Den scharfen Zug um ihren Mund und die Art, wie sie deprimiert die Schultern hängen ließ.
Obwohl Closterman bereit war, Martie zur weiter reichenden Diagnose in das benachbarte Krankenhaus zu überweisen, war ihm deutlich anzusehen, dass er darin eher einen übergründlichen jährlichen Gesundheits-Check sah als einen Schritt, der getan werden musste, um die Ursachen einer lebensbedrohlichen Erkrankung aufzuspüren. Der Doc hatte sich einen stark gestrafften Bericht ihres sonderbaren Verhaltens während der vergangenen vierundzwanzig Stunden angehört, und obwohl sie nicht auf die Einzelheiten ihrer blutrünstigen Fantasien eingegangen war, hatte sie immerhin so viel erzählt, dass Dusty wünschte, er hätte den fetttriefenden Doughnut nicht gegessen. Dennoch erging sich Closterman, nachdem er seine Eintragungen in Marties Patientenkarte beendet hatte, in einer Aufzählung der vielen möglichen Stressauslöser, der psychischen und physischen Krankheitssymptome, die mit Stress oft einhergingen, und der Techniken, mit denen man diesem am besten entgegenwirken konnte – als läge die Ursache ihres Problems in Überarbeitung, einem Mangel an Freizeit, einer Tendenz, es mit jeder Kleinigkeit ganz genau zu nehmen, und einer klumpigen Matratze.
Martie fiel Closterman mit der Bitte ins Wort, den Reflexhammer wegzulegen.
Verstört, weil er den Faden seines Vortrags verloren hatte, der so angenehm dahingeplätschert war, fragte er: »Weglegen?«
»Er macht mich nervös. Ich muss dauernd hinsehen. Ich habe das Gefühl, ich könnte etwas Schreckliches damit tun.«
Das Instrument aus glänzendem Edelstahl war so klein wie ein Spielzeughämmerchen und machte ganz und gar nicht den Eindruck, als würde es als Waffe taugen.
»Wenn ich ihn mir schnappe und Ihnen ins Gesicht schleudere«, sagte Martie, wobei ihre Worte umso bedrohlicher wirkten, als ihre Stimme dabei ruhig und vernünftig klang, »sind Sie vielleicht einen Augenblick lang benommen oder sogar bewusstlos, und diesen Augenblick könnte ich nutzen, um einen gefährlicheren Gegenstand zu holen. Den Kuli zum Beispiel. Würden Sie den Kugelschreiber bitte auch weglegen?«
Dusty rutschte nervös auf der Stuhlkante herum.
Jetzt geht es schon wieder los.
Dr. Closterman betrachtete den Kugelschreiber, der auf der zugeklappten Patientenkarte lag. »Es ist nur ein einfacher Kuli.«
»Ich sage Ihnen, was ich damit tun könnte, Doktor. Eine kleine Kostprobe der Dinge, die mir durch den Kopf gehen, und ich weiß weder, woher es kommt, dieses widerwärtige Zeug, noch wie ich mich dagegen wehren soll.« Der blaue Papierkittel knisterte geheimnisvoll wie eine ausgetrocknete Schmetterlingspuppe, aus der sich ein tödliches Etwas ans Tageslicht kämpfen wollte. Ihre Stimme war immer noch ruhig, aber es hatte sich eine gewisse Schärfe in ihren Ton geschlichen. »Mir ist es egal, ob es ein Montblanc oder ein Bic ist, denn es ist auch ein Stilett, ein Spieß, und ich könnte ihn mir von Ihrem Schreibtisch schnappen und über Sie herfallen, bevor Sie wissen, wie Ihnen geschieht. Ich könnte Ihnen den Stift ins Auge rammen und tief in den Schädel bohren, ihn umdrehen, umdrehen, Ihr Hirn regelrecht aufzwirbeln, und Sie würden entweder auf der Stelle tot umfallen oder den Rest Ihres Lebens mit den intellektuellen Fähigkeiten einer verfluchten Kartoffel dahinvegetieren.« Sie zitterte. Ihre Zähne klapperten. Und sie hatte beide Hände wie zuvor im Wagen an die Schläfen gepresst, als wollte sie die grässlichen Bilder zurückdrängen, die im Nachtschattengarten ihrer Fantasie blühten. »Und ob Sie nun tot oder lebendig am Boden liegen, es gibt nach dem Kuli immer noch jede Menge Dinge, die ich mit Ihnen tun könnte. Sie haben Spritzen hier, Nadeln … und auf dem Tisch dort das Glas mit den Zungenspateln. Wenn man das Glas zerbricht, sind die Scherben wie Messer. Ich könnte Ihnen das Gesicht zerfetzen … oder Scheiben davon abschneiden und sie mit Injektionsnadeln an die Wand heften, eine Collage aus Ihrem Gesicht machen. Das könnte ich. Ich … ich sehe es just in diesem Augenblick vor mir.« Sie schlug die Hände vors Gesicht.
Trotz seiner Körperfülle gelenkig wie ein Baletttänzer, war Closterman schon bei dem Wort
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