Stimmen der Angst
eines Kartenspiels, und das wiederum rief ihm ins Gedächtnis, dass der amerikanische Soldat in dem Roman, derjenige, der durch Gehirnwäsche zum Mörder programmiert worden war, erst dann aktiv wurde, wenn man ihm ein Kartenspiel gab und ihn fragte: »Warum vertreibst du dir nicht die Zeit mit einer kleinen Patience?« Damit die gewünschte Wirkung erzielt wurde, musste die Frage in genau diesem Wortlaut gestellt werden. Daraufhin spielte der Soldat so lange Patience, bis er die KaroDame umdrehte, was wiederum dem Programmierer, der ihn dann darauf vorbereitete, seine Befehle entgegenzunehmen, Zugang zu seinem Unterbewusstsein verschaffte.
Mit nachdenklicher Miene ließ Dusty die Seitenkanten des Buchs noch einmal über seinen Daumen streichen.
Dann setzte er sich, immer noch nachdenklich, immer noch flüchtig durch die Seiten blätternd, in den Sessel.
Er hatte es hier nicht mit Magie zu tun. Womit er es zu tun hatte, war vielmehr eine weitere Erinnerungslücke, nur ein paar Sekunden, eine noch kürzere Zeitspanne als der Moment, den er am Tag zuvor in der Küche am Telefon verbracht hatte.
Kürzer?
Stimmte das wirklich?
Er warf einen Blick auf die Armbanduhr. Vielleicht auch nicht. Er konnte es nicht mit Sicherheit sagen, weil er nicht mehr auf die Uhr gesehen hatte, nachdem er angefangen hatte, in dem Roman zu lesen. Die Zeitspanne, die ihm in der Erinnerung fehlte, konnte ein paar Sekunden, aber ebenso gut auch zehn Minuten oder sogar noch länger gewesen sein.
Fehlende Zeit.
Welchen Sinn ergab das?
Keinen.
Von Ahnungen getrieben und mit seinen Gedanken auf Pfaden wandernd, die verschlungener waren als das Gedärm eines Menschen, konnte Dusty sich nicht mehr auf den Roman konzentrieren. Er ging zum Garderobenständer, steckte das Buch aber nicht in Marties, sondern in seine eigene Jackentasche.
Aus der anderen Tasche holte er das Handy hervor.
Angenommen, die durch Gehirnwäsche programmierte Person wurde nicht mit einer präzise formulierten längeren Frage aktiviert – Warum vertreibst du dir nicht die Zeit mit einer kleinen Patience? –, sondern lediglich mit einem Namen? Dr. Yen Lo.
Angenommen, der Programmierer erhielt nicht durch das Auftauchen der Karo-Dame Zugang zum Unterbewusstsein dieser Person, sondern durch ein paar Gedichtzeilen? Ein Haiku.
Nervös auf und ab wandernd, wählte er Ned Motherwells Handynummer.
Nach dem fünften Klingelton hörte er Neds Stimme. Er war noch bei den Sorensons. »Wir konnten heute nicht streichen, weil vom Regen noch alles nass ist, aber wir haben alles so weit vorbereitet, dass wir morgen gleich loslegen können. Fig und ich, wir haben heute ohne diesen durchgeknallten kleinen Scheißer, der ohnehin nur mit irgendeinem Stoff vollgepumpt im Weg rumsteht, zu zweit mehr Arbeiten erledigt als sonst an zwei Tagen.«
»Danke der Nachfrage«, sagte Dusty. »Skeet geht es gut.«
»Hoffentlich treten sie ihm da, wo immer du ihn hingebracht hast, rund um die Uhr in seinen knochigen Arsch.«
»Da kannst du ganz beruhigt sein. Ich habe ihm einen Platz im Krankenhaus zur heiligen Maria der Arschtreter verschafft.«
»Wäre klasse, wenn es ein solches Krankenhaus wirklich gäbe.«
»Wenn deine Freunde von den Straight Edgers die Kirche des Landes übernehmen, wird es bestimmt in jeder Stadt eins geben. Hör zu, Ned, kann Fig für heute den Rest bei den Sorensons allein machen, während du mir einen Gefallen tust?«
»Klar. Fig ist kein Dope fressender, selbstzerstörerischer alter Sack. Auf Fig ist Verlass.«
»Hat er Big Foot in letzter Zeit gesehen?«
»Wenn er es je behauptet, glaube ich es ihm aufs Wort.«
»Ich auch«, sagte Dusty.
Er erklärte Ned Motherwell, was dieser für ihn tun sollte, und sie verabredeten einen Ort und eine Uhrzeit, zu der sie sich später treffen wollten.
Nachdem er das Gespräch beendet hatte, steckte Dusty das Handy in die Halterung an seinem Gürtel. Dann sah er auf die Uhr. Fast drei Uhr. Er setzte sich wieder.
Zwei Minuten später saß Dusty nach vorn gebeugt da – die Unterarme auf die Schenkel gestützt, die Hände zwischen den Knien gefaltet – und dachte so angestrengt nach, dass sein Schädel eigentlich sichtbar hätte rauchen müssen. Als der Hebelgriff auf der anderen Seite der Tür knirschte und der Riegel mit einem Klicken aufschnappte, zuckte er zusammen, sprang diesmal aber nicht wie von der Tarantel gestochen auf die Füße.
Martie kam selig lächelnd aus dem Sprechzimmer, Dusty, nicht ganz so selig
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