Stimmen der Angst
Wahnsinn grenzender Exzentrik litt, seine Aussicht auf eine Politikerkarriere beeinträchtigen würde, was sicher eine unrealistische Überlegung war, wenn man bedachte, dass solche Anwandlungen unter Politikern beider Parteien wie unter deren Ehegattinnen seit Jahren an der Tagesordnung waren, ohne dass dies je gravierende Auswirkungen auf die Gunst der Wähler gehabt hätte. Außerdem war der Ehemann so langweilig wie eine tote Kröte und hatte schon darum wenig Chancen, von irgendjemandem gewählt zu werden.
Ahriman hatte sie ausschließlich deshalb als Patientin angenommen, weil ihn ihre Krankheit interessierte. Diese Frau steigerte sich unaufhaltsam in eine Phobie hinein, die ihresgleichen suchte und ihm deshalb interessanten Stoff für seine künftigen Spiele liefern konnte. Außerdem dachte er daran, ihren Fall – natürlich aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes unter geändertem Namen – in sein nächstes Buch aufzunehmen, in dem es um Zwänge und Phobien ging. Der beziehungsreiche Arbeitstitel lautete: Fürchte dich nicht, denn ich bin bei dir .
Die Frau des Möchtegern-Senators hatte seit geraumer Zeit eine immer obsessivere Leidenschaft für den Schauspieler Keanu Reeves entwickelt. Sie besaß Dutzende von Mappen mit Fotos von Keanu, Artikeln über Keanu und Rezensionen von Filmen, in denen Keanu mitgespielt hatte. Kein Kritiker kannte die Filmografie des Schauspielers auch nur annähernd so gut wie sie, denn sie hatte jeden einzelnen seiner Filme mindestens zwanzig Mal in der Geborgenheit ihres vierzig Zuschauer fassenden Breitwandkinos gesehen und einmal sogar achtundvierzig Stunden am Stück damit verbracht, sich Speed immer wieder von vorn anzusehen, bis sie schließlich, erschlagen von zu wenig Schlaf und zu viel Dennis Hopper, ohnmächtig geworden war. Vor nicht allzu langer Zeit hatte sie für Zweihunderttausend Dollar einen herzförmigen Cartier-Anhänger aus diamantenbesetztem Gold gekauft und auf der Rückseite Ich kehöre Keanu eingravieren lassen.
Dieser Liebesrausch war dann aus Gründen, die der Patientin selbst unverständlich waren, in sein Gegenteil umgeschlagen. Irgendwann begann sie zu vermuten, dass Keanu eine dunkle Seite hatte. Dass er von ihrem Interesse an seiner Person erfahren hatte und nicht erfreut darüber war. Dass er Leute anheuerte, die sie überwachen sollten. Schließlich, dass er selbst sie beobachtete. Wenn das Telefon klingelte und der Anrufer auflegte, ohne sich zu melden, oder wenn der Anrufer: Tut mir Leid, ich habe mich verwählt sagte, glaubte sie jedesmal fest daran, dass es Keanu gewesen war. Sie hatte sein Gesicht vergöttert; jetzt fing sie an, sich davor zu fürchten. Sie vernichtete ihre Sammelmappen und verbrannte die Fotos in ihrem Schlafzimmer, weil sie zu argwöhnen begann, dass er sie durch seine Bilder aus der Ferne beobachten konnte. Schließlich wurde sie von Panikattacken befallen, wenn sie sein Gesicht nur sah. Aus Angst, von einem Werbespot für seinen neuesten Film überrascht zu werden, schaltete sie den Fernseher nicht mehr ein. Sie wagte kaum noch, eine Zeitschrift aufzuschlagen, denn auf jeder Seite konnte ihr Keanu entgegenstarren; es versetzte sie schon in Angst und Schrecken, seinen Namen allein nur gedruckt zu sehen, und am Ende umfasste die Liste der Zeitschriften, die sie gefahrlos lesen konnte, wenig mehr als die Berichte zur Außenpolitik und medizinische Fachblätter wie Entwicklungen in der Dialysepraxis .
Dr. Ahriman wusste aus seiner Kenntnis der Krankheitsmuster solcher Phobien, dass der Verfolgungswahn seiner Patientin bald voll entwickelt sein und sie überzeugt sein würde, dass Keanu Reeves ihr auf Schritt und Tritt heimlich nachschlich. Danach würde sich ihr Zustand entweder stabilisieren und sie würde sich daran gewöhnen, ein so eingeschränktes Leben zu führen wie Susan Jagger in den Klauen ihrer Agoraphobie, oder sie würde in eine schwere Psychose abgleiten, die eine zumindest vorübergehende Behandlung in einer psychiatrischen Klinik erforderlich machte.
Man konnte Störungen dieser Art durchaus mit einiger Aussicht auf Erfolg medikamentös behandeln, aber Ahriman hatte nicht die Absicht, gerade bei dieser Patientin eine derart konventionelle Therapie anzuwenden. Er hatte vor, sie zu guter Letzt in drei Sitzungen zu programmieren, und zwar nicht mit dem Ziel, ihr Bewusstsein zu kontrollieren, sondern lediglich, um ihr die Anweisung zu geben, ihre Angst vor Keanu zu vergessen. Auf diese Weise würde er
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