Stimmen der Angst
Kopf drehte und suchend hinter sich blickte, stieß sie mit dem Fuß an einen am Boden liegenden Gegenstand und beim näheren Hinsehen bemerkte sie etwas, das geometrischer geformt war als die Umrisse einer Blutlache. Das metallische Klirren war unverwechselbar.
Sie blieb wie angewurzelt stehen, einerseits vor Angst, sich durch das Geräusch verraten zu haben, andererseits auch vor ungläubigem Staunen. Fast wagte sie nicht, ihrer Hoffnung zu trauen, doch schließlich ging sie, mit dem Rücken an die Kivamauer gestützt, in die Hocke, um den Gegenstand zu betasten, den sie mit dem Fuß angestoßen hatte.
Die zweite Maschinenpistole.
Da sie ohnehin beide Hände brauchte, um die Waffe zu bedienen, die sie schon hatte, schob sie Kevins Pistole hinter sich. Sie hatte jetzt keine Angst mehr, dass er sich aus dieser Richtung an sie heranschleichen würde.
Zehn Schritte weiter sah sie seine massige Gestalt, zusammengesackt, die gespreizten Beine hoben sich dunkel vor dem schneebedeckten Untergrund ab. Er lehnte schlaff an der Kivamauer, als wäre er den ganzen Tag zu Fuß gelaufen und nun zu Tode erschöpft.
Sie hielt, die Pistole auf ihn gerichtet und blieb außerhalb seiner Reichweite stehen, wartete, bis sich ihre Augen noch besser an die gnadenlose Finsternis gewöhnt hatten. Sein Kopf war nach links geneigt, die Arme hingen kraftlos herunter.
Soweit sie erkennen konnte, bildete sich vor seinem Mund kein Atemdunst.
Andererseits gab es hier kein Licht, das die Atemwolke hätte reflektieren können. Sie sah auch den eigenen Atem nicht.
Schließlich trat Martie näher, ging in die Hocke und legte ihm die kältetauben Fingerspitzen an den Hals, wie sie es auch bei Zachary getan hatte. Sie brachte es nicht über sich, sofern er noch am Leben war, einfach davonzumarschieren und ihn allein hier sterben zu lassen. Es war ihr nicht möglich, rechtzeitig Hilfe zu holen, und selbst wenn es möglich gewesen wäre, hätte sie es unter den gegebenen Umständen nicht gewagt, denn damit hätte sie eine Mordanklage riskiert. Aber sie konnte bei dem Sterbenden Wache halten, denn niemand, nicht einmal ein Mensch wie er, hatte es verdient, in der Stunde seines Todes allein zu sein.
Ein unregelmäßig flatternder Puls. Heißer Atemhauch auf ihrem Handrücken.
Wie eine Sprungfederfalle schoss seine Hand hoch und schnappte um ihr Handgelenk zu.
Sie verlor das Gleichgewicht, fiel auf den Rücken, drückte auf den Abzug. Ihre Hand wurde von dem Rückstoß erschüttert und die Kugeln pfiffen wirkungslos durch die hohen Zweige einer in der Nähe stehenden Pappel.
*
Die Zeit völlig aus den Fugen geraten, Sekunden so lang wie Minuten, Minuten so lang wie Stunden, hier im Kofferraum des BMW.
Martie hatte Dusty gebeten zu warten, ruhig zu sein, damit sie hören konnte, was um sie herum geschah. Einer erledigt, hatte sie gesagt. Einer erledigt, vielleicht auch beide.
Das Vielleicht war es, was ihm Angst machte. Dieses kleine Vielleicht war wie ein Nährboden in einer Petrischale, in dem anstelle von Bakterien Angst gezüchtet wurde, und schon das, was dieser Nährboden bis jetzt hervorgebracht hatte, machte Dusty krank vor Sorge.
Die ganze Zeit über, seit er im Kofferraum eingeschlossen war, hatte er im Dunkeln tastend seine Umgebung erforscht und besonders an der Unterseite der Haube nach einem Verschlussriegel gesucht. Er hatte keinen gefunden.
In einer seitlichen Vertiefung lagen ein paar Werkzeuge. Eine Kombizange, ein Wagenheber, eine Brechstange. Aber selbst wenn es möglich war, den Kofferraumdeckel aufzustemmen, musste der Hebel von außen angesetzt werden, nicht von innen.
Die Vorstellung, dass sie mit ihnen allein war, und dann auch noch die Schüsse und nun diese unerträgliche Stille. Nur das rhythmische Brummen des laufenden Motors, ein tiefes Vibrieren im Fahrzeugboden. Warten, warten, wahnsinnig vor Angst. Warten, bis das Warten unerträglich wurde.
Auf der Seite liegend, arbeitete er sich mit dem flachen Ende der Brechstange an der teppichverkleideten Trennwand zum Innenraum entlang, sprengte Krampen ab, bog den Rand um, schob seine Finger dahinter, riss sie Trennwand heraus, was ihn einige Anstrengung kostete, und legte sie flach auf den Boden des Kofferraums.
Er legte die Eisenstange aus der Hand, rollte sich auf den Rücken, zog die Beine so dicht an die Brust, wie es in dem beengten Raum möglich war, und ließ sie dann gegen die vordere Wand des Kofferraums schnellen, welche die Rückenlehne der Sitzbank im
Weitere Kostenlose Bücher