Stimmen der Angst
Nella fleißig beschäftigt wusste, begab sich Ahriman in sein geschmackvoll eingerichtetes Arbeitszimmer im Erdgeschoss. Es dauerte zwar nur sieben Sekunden, bis der Computer per Knopfdruck aus seiner Versenkung in der Schreibtischplatte auftauchte, aber während Ahriman darauf wartete, dass er in der Halterung einrastete und sich einschaltete, trommelte er dennoch ungeduldig mit den Fingern auf die Tischplatte.
Der Rechner war mit seinem Praxiscomputer vernetzt, damit er auch von zu Hause aus Zugriff auf seine Patientendatei hatte. So konnte er sich jetzt die Telefonnummer der Keanuphobin anzeigen lassen. Sie hatte ihm zwei Nummern gegeben: die ihres Anschlusses zu Hause und ihre Mobilfunknummer.
Seit ihrem fluchtartigen Verschwinden vom Parkplatz am Strand waren noch keine vierzig Minuten vergangen.
Es war ihm zwar nicht angenehm, dass er sie von seinem Privatanschluss aus anrufen musste, aber die Zeit war von entscheidender Bedeutung – wie sie auch das Feuer war, in dem wir verbrennen –, und er konnte sich unter den gegebenen Umständen keine Gedanken darum machen, ob er eine verfolgbare Spur hinterließ oder nicht. Er versuchte es mit der Mobiltelefonnummer.
Sie antwortete beim vierten Klingelton. Er erkannte ihre Stimme sofort. »Hallo?«
Offensichtlich fuhr sie, wie er vermutet hatte, in einem Zustand paranoider Verwirrung ziellos in der Gegend herum, während sie versuchte, sich Klarheit darüber zu verschaffen, wie sie auf das Geschehene reagieren sollte.
Wie sehr er sich in diesem Augenblick doch wünschte, er hätte sie programmiert.
Es würde ein heikles Gespräch werden. Während er den Hawthornes ihre Anweisungen gegeben hatte und mit verschiedenen anderen Dingen beschäftigt gewesen war, hatte er angestrengt darüber nachgedacht, wie er sich ihr gegenüber verhalten sollte. Ihm war nur eine einzige Strategie eingefallen, von der er sich vorstellen konnte, dass sie Aussicht auf Erfolg hatte.
»Hallo?«, sagte sie noch einmal.
»Sie wissen, wer am Apparat ist«, sagte er.
Sie schwieg. Bestimmt hatte sie seine Stimme erkannt.
»Haben Sie mit irgendjemandem über … den Zwischenfall gesprochen?«
»Noch nicht.«
»Sehr gut.«
»Aber glauben Sie bloß nicht, dass ich es nicht tun werde.«
Ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen, sagte der Arzt: »Haben Sie den Film Matrix gesehen?«
Die Frage war überflüssig, denn er wusste auch so, dass sie in ihrem Vierzig-Sitze-Heimkino jeden einzelnen Film mit Keanu Reeves mindestens zwanzigmal gesehen hatte.
»Natürlich habe ich ihn gesehen«, antwortete sie. »Wie können Sie mir überhaupt eine solche Frage stellen, wenn Sie mir in den Therapiestunden zugehört haben? Aber Sie sind ja nie mit den Gedanken bei der Sache.«
»Es ist nicht nur ein Film.«
»Was denn sonst?«
»Realität.« Der Arzt bot sein ganzes bemerkenswertes schauspielerisches Talent auf, um dieses eine Wort so geheimnisvoll wie möglich klingen zu lassen.
Sie schwieg.
»Genau wie in dem Film stehen wir nicht am Beginn eines neuen Jahrtausends, wie Sie vielleicht glauben. In Wirklichkeit leben wir im Jahr 2300 … und die Menschheit ist schon seit Jahrhunderten versklavt.«
Sie sagte zwar nichts, aber ihr Atem wurde flacher und beschleunigte sich, für den Psychologen ein sicheres Zeichen, dass in ihrem Kopf jetzt paranoide Wahnvorstellungen abliefen.
»Und«, fuhr er fort, »genau wie in dem Film ist die Welt, die Sie für real halten, mitnichten die Realität. Sie ist eine pure Illusion, eine Täuschung, eine virtuelle Welt, eine perfekt ausgearbeitete Matrix, von einer teuflischen künstlichen Intelligenz geschaffen, um Sie zu versklaven.«
Ihr Schweigen erschien ihm nun eher nachdenklich als feindselig, und der Arzt fühlte sich durch ihre leisen, schnellen Atemzüge ermutigt, seine Geschichte weiterzuspinnen.
»In Wirklichkeit werden Sie und mit Ihnen Milliarden anderer Menschen, alle außer einer Handvoll Rebellen, in Kapseln gehalten, wo Sie intravenös ernährt werden und an den Computer angeschlossen sind, dem Sie bioelektrische Energie liefern, während Sie mit den Träumen dieser Matrix gefüttert werden.«
Sie sagte immer noch nichts.
Er wartete.
Sie hatte den längeren Atem.
Schließlich sagte er: »Die beiden Männer, die Sie … heute Abend am Strand gesehen haben. Das waren keine Menschen. Es waren Maschinen, die die Matrix schützen, genau wie im Film.«
»Sie müssen mich für verrückt halten«, sagte sie.
»Ganz im Gegenteil. Wir haben in
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