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Stimmen der Angst

Stimmen der Angst

Titel: Stimmen der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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weiß es nicht. Könntest du es? So ganz … kaltblütig? Zu ihm hingehen und abdrücken?«
    »Vielleicht.«
    Minutenlang sagte sie wieder kein Wort, aber Dusty wusste, dass sie nicht am Wegdösen war.
    »Nein«, sagte sie dann. »Ich glaube nicht, dass ich es könnte. Ihn töten, meine ich. Ihn oder irgendjemanden sonst. Nie wieder.«
    »Ich weiß, dass du es nicht gern tun würdest. Aber ich glaube, dass du es könntest. Und ich könnte es auch.«
    Zu seiner eigenen Verblüffung fing er an, ihr von der optischen Täuschung zu erzählen, die ihn als Kind immer so fasziniert hatte: dem Bild von einem Wald, aus dem durch eine einfache Verschiebung der Perspektive eine pulsierende Stadt wurde.
    »Und da gibt es einen Bezug?«, fragte sie.
    »Ja. Weil ich selbst heute Abend dieses Bild war. Ich dachte immer, ich wüsste genau, wer ich bin. Dann verschiebt sich die Perspektive und ich sehe plötzlich ein anderes Ich. Welches Bild ist wirklich und welches ist Fantasie?«
    »Beide sind wirklich«, sagte sie. »Und das ist in Ordnung so.«
    Dadurch, dass sie es sagte, war es für ihn in Ordnung. Auch wenn sie es nicht wusste, und auch wenn er seine Gefühle nie würde in Worte fassen können, die sie verstand, war Martie der Prüfstein, an dem Dusty seinen Wert als Mensch maß.
    Später, als er schon fast am Wegdämmern war, sagte sie: »Es muss einen Ausweg geben. Wir müssen nur … die Perspektive verschieben.«
    Vielleicht hatte sie Recht. Ein Ausweg. Aber er konnte ihn weder in der realen Welt noch in seinen Traumen entdecken.

72. Kapitel
    Als sie von Albuquerque in den blauen Morgenhimmel aufstiegen, ohne Feuerwehrauto und Pistole im Handgepäck, dafür mit steifen, geschundenen Gliedern von den Strapazen des vergangenen Tages, fühlte sich Martie müde und alt. Während Dusty in Lerne dich selbst lieben las, um sich ein besseres Bild von ihrem Feind zu machen, drückte sie die Stirn ans Fenster und blickte auf die schneebestäubte Stadt, die unter ihnen rasch kleiner wurde. Die ganze Welt war so fremd geworden, dass es ebenso gut Istanbul oder eine andere ferne Metropole hätte sein können, die sie jetzt hinter sich ließen.
    Vor etwas weniger als zweiundsiebzig Stunden war sie mit Valet zu ihrem üblichen Morgenspaziergang aufgebrochen, und ihr Schatten hatte sie einen Moment lang erschreckt. Nachdem dieser merkwürdige Moment vorübergegangen war, hatte sie über sich selbst gelacht. Ihre beste Freundin hatte noch gelebt. Sie war noch nicht in Santa Fe gewesen. An jenem Morgen hatte sie noch geglaubt, dass das Leben nach einem geheimnisvollen Plan verlief, und sie hatte in den Abläufen ihres Alltags ein beruhigendes Muster erkannt. Sie glaubte immer noch an die Existenz eines übergeordneten Plans, aber die Muster, die sie jetzt sah, hatten sich verändert, sie waren anders und auf beängstigende Weise komplizierter geworden.
    Sie hatte in der Nacht mit Albträumen gerechnet – und beileibe nicht von den zwei Dosen Bier und den faden Käsesandwiches. Sie hatte jedoch ruhig und ungestört geschlafen.
    Strahlebob war ihr weder im Traum noch in den wachen Momenten erschienen, in denen sie die vertraute Form seines Feuerwehrhelms und die phosphoreszierenden Streifen seiner Schutzjacke in den Schatten des Motelzimmers gesucht hatte.
    Martie hatte sich glühend danach gesehnt, ihn zu sehen, sei es im Traum oder im Wachzustand, und sie hatte sich so allein gelassen gefühlt, als würde sie nicht länger die Gunst genießen, dass er sie beschützte.
    Um angesichts dessen, was sie in Kalifornien erwartete, nicht die Hoffnung zu verlieren, brauchte sie die beiden Männer, die ihr im Leben das Liebste waren, Dusty und Strahlebob.
    *
    Normalerweise hatte Dr. Ahriman nur an den ersten vier Tagen der Woche Sprechstunde. Für diesen Freitag hatte er zwar eine Ausnahme gemacht und mit Martie und Dusty Rhodes einen Termin vereinbart, aber sie würden diesen wohl kaum einhalten.
    »Pass bloß auf«, sagte er im Badezimmer zu seinem Spiegelbild. »Du wirst deine Praxis bald zumachen können, wenn du nicht endlich aufhörst, deine Patienten reihenweise um die Ecke zu bringen.«
    Nachdem er die Krise der vergangenen zwei Tage überstanden hatte, ohne den Teufelsschwanz kupiert zu bekommen oder ohne sich die Hörner anzustoßen – ein kleiner bildhafter Scherz am Rande –, war er in glänzender Laune, zumal ihm auch noch eingefallen war, wie er das Spiel neu beleben konnte, das am Vorabend noch so festgefahren zu sein schien. Und

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