Stimmen der Nacht
lagst, ohne bei mir zu sein, nach Liebesgeflüster, das nicht für mich bestimmt war, und Zärtlichkeiten, die nichts bedeuteten, und danach im Morgengrauen, im kühlen Licht bei frischem Kaffee und knusprigem Toast … da habe ich dich angesehen, und irgendwo, im Knarren einer Tür, im Klirren der Tassen oder im Seufzen deines Atems, habe ich deine Stimme gehört, und du hast dich gefragt: Wann ist sie endlich fort und still und läßt mich leben, wie ich es will? …«
O Gott, dachte Gulf verzweifelt. Mein Gott, was habe ich dir getan, Elizabeth? Was habe ich dir nur angetan?
Aber er wußte, daß die Klette nur Fragen stellte und niemals Antworten gab, und erfüllt von ihrem Geflüster stieß das Flugzeug in die Tiefe, hinab zu den verfallenen Städten im Herzen Europas und den Gespenstern, die in ihnen hausten.
3
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Zu Gulfs
Überraschung
waren sie
in Frankreich
gelandet,
auf einem
schmutzigen Militärflughafen in der Nähe von Nancy; ein grau in grau betoniertes Areal mit einem Wurmfortsatz aus heruntergekommenen Kasernen, tristen Wellblechhangars und einem plumpen, altersschwachen Tower. Im lauen Abendwind hing die Trikolore schlaff wie ein nasser Lappen am Fahnenmast, und nichts erinnerte hier an die trotzig zur Schau gestellte Grandeur, die man in Paris und Versailles allenthalben antraf; operettenhafte Pracht, die grelle, aufdringliche Schminke der Fünften Republik, der verblühten Mätresse des toten Generals, die mit ihm verfallen war und dennoch versuchte, die Illusion vergangener Macht hinüberzuretten in eine Zeit, die Europa längst den Rücken gekehrt hatte.
Mit steifen Gliedern stieg Gulf hinter Splitz die Gangway hinunter und horchte, aber die Elektrische Klette schwieg. Alles war still. Selbst von den französischen Soldaten, die in einiger Entfernung Kisten mit Waffen und Versorgungsgütern in den Bauch einer Transportmaschine luden, drang kein Laut. Eine unsichtbare Wand schien alle Geräusche zu verschlucken. Gulf kniff die Augen zusammen und sah zum Tower hinüber, von dem sich zwei Jeeps mit aufgeblendeten Scheinwerfern näherten. Die Nacht war bewölkt und mondlos, doch nur wenige Lampen erhellten den Flughafen; trübe, gelbe Positionslichter entlang der Rollbahn und eine einsame Laterne vor den Lagerschuppen.
Unwillkürlich dachte er an das illuminierte Blendwerk des Versailler Schlosses, wo der Präsident im Spiegelsaal bei Kerzenschein und silbernem Eßgeschirr dinierte und zwischen Schildkrötensuppe und gefüllten Wachteln fingerdicke Stapel Formulare unterzeichnete – Arbeit für den Mann an der Guillotine, Todesurteile für die rebellischen Studenten aus dem Quartier Latin und für die Guerilleros im besetzten Saarland, der alemannischen Provinz Frankreichs, die sich bis zum Rhein und zur Mosel erstreckte und Hunsrück und Pfälzer Wald dem Reich entrissen hatte. Vielleicht war der Waffentransport für die französischen Soldaten am Koblenzer Dreieck bestimmt, die neue Wacht am Rhein, das Bollwerk gegen die Werwolfkommandos, die aus dem alten Reichsgebiet in das Saarland einsickerten und jeden Franzosen ohne viel Federlesens am Halse aufhängten.
Der Guerillakrieg im Saarland war nur das offensichtliche Indiz für die Welle aus aktivem und passivem Widerstand, die das alte Reich nicht zur Ruhe kommen ließ. Im Ruhrgebiet und im Rheinland – den einstigen industriellen Zentren, in denen nach dem Krieg sämtliche Fabriken, Kraftwerke und Zechen geschlossen, zerstört und demontiert worden waren und die noch immer unter alliierter Verwaltung standen – verging kaum ein Tag, an dem man nicht neue Hakenkreuzschmierereien entdeckte. Im deutschverwalteten Nordstaat aus Sachsen, Thüringen, einem großen Teil des alten Preußen und einigen kleineren Ländern feierten ganze Dörfer zu mitternächtlicher Stunde den Geburtstag des Führers, und in abgelegenen Hainen, bei Fackellicht, unter selbstgenähten Reichsbannern, versammelten sich junge Burschen und Mädchen und gelobten Führer, Volk und Vaterland Treue bis in den Tod. Und im Süden dann, wo die Werwölfe den größten Rückhalt hatten und ihren Kampf mit deutsch-amerikanischem Geld und deutsch-amerikanischen Waffen führten, wurde aus den bündischen Riten, den kultischen Sonnenwendfeiern und der modrigen Volkstümelei blutiger Ernst.
Es ist die Jugend, sagte sich Gulf, es ist immer die Jugend, die sich erhebt. Die Alten haben resigniert. Wer noch genug Mut, Kraft und Haß hatte, ist im Großen Exodus nach Deutsch-Amerika
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