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Stimmen der Nacht

Stimmen der Nacht

Titel: Stimmen der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Ziegler
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da.«
    »In Ordnung.« Die Frau sah Gulf nachdenklich an. »Von jetzt an sind Sie Steven Coolidge. Und ich bin Ihre Frau. Vergessen Sie das nicht. Trevor« – sie nickte Carmichael zu – »wird sich von uns trennen und später wieder zu uns stoßen. Im Flughafengebäude sind ein Dutzend unserer Leute postiert. Zwar rechnen wir nicht damit, daß die ODESSA Ihre Spur bis hier verfolgt hat, aber wir wollen kein Risiko eingehen. Nicht auszudenken, was geschieht, wenn die ODESSA Sie nach Deutsch-Amerika entführt und die Stimmen Ihnen folgen … wenn Adolf Hitlers Stimme in Germania erklingt und Joseph Goebbels die Exil-Nazis zum Krieg aufruft wie damals in den vierziger Jahren, zum totalen Krieg gegen die ganze Welt.«
    Ja, dachte Gulf, vielleicht sind sie deshalb zurückgekommen. Vielleicht ist das wirklich der Grund für die Auferstehung der toten Nazi-Führer. Sie wollen das, was sie damals begonnen haben, zu Ende führen. Und diesmal wird es wirklich das Ende sein: Unser aller Ende, das Ende allen Lebens auf der Erde. Asche, dachte er. Nur Asche wird bleiben. Das Land und die Städte werden brennen, und die Menschen werden mit ihnen in Flammen aufgehen.
    Sie erreichten den Flughafen und stiegen aus. Die Nacht war warm und schwül, die Luft roch abgestanden. Nach den Tagen im Reich, in der reinen Luft der unberührten Wälder, war sie wie ein Knebel. Gulf und Laureen warteten, bis Carmichael in der Abfertigungshalle verschwunden war, und folgten dann langsam.
    »Was machen wir«, fragte Gulf, »wenn sie wieder zu sprechen beginnen, die Stimmen?«
    »Nichts«, erklärte sie. »Wir gehen weiter. Einfach weiter. Als wäre nichts geschehen.«
    In der Halle war die Luft noch drückender als draußen. Menschenschlangen drängten sich vor den Abfertigungsschaltern, die Wartesäle waren überfüllt – die Krise im Reich machte sich bereits bemerkbar. Auf dem Weg zum PanAm-Schalter sah sich Gulf verstohlen um. Nichts. Niemand kümmerte sich um sie, niemand schenkte ihnen Beachtung. Am Schalter zeigten sie ihre Tickets vor und nahmen die Bordkarten in Empfang. Formalitäten. Sie hatten einen wohltuenden Einfluß auf Gulfs Nerven. Er entspannte sich. Die niederländischen Beamten an der Paßkontrolle warfen nur einen flüchtigen Blick auf ihre britischen Pässe, durchleuchteten das Handgepäck und ließen sie passieren.
    »Dort«, sagte Laureen. »Unser Flugsteig.« Sie sah zur Leuchtanzeige. »In einer halben Stunde können wir an Bord gehen.«
    Gulf entdeckte unter den wartenden Passagieren Carmichael in der Begleitung einer schwarzhaarigen Frau, offenbar einer CIA-Agentin. Sie ignorierten ihn. Sein Blick wanderte zum benachbarten Flugsteig; der Warteraum leerte sich und die ersten Passagiere bestiegen den Zubringerbus zur startbereiten Maschine. Ein Flugzeug der Lufthansa. Linienflug nach Rio de Janeiro.
    Nach Deutsch-Amerika. Ins Nazi-Land.
    Gulf fröstelte.
    Laureen zupfte an seinem Ärmel und zog ihn halb aus dem Warteraum. Plötzlich wirkte sie nervös. »Halten wir uns besser etwas abseits. Nur zur Sicherheit. Für den Fall, daß doch etwas passiert.«
    Gulf runzelte die Stirn; aber er schwieg. Er warf Carmichael einen verstohlenen Seitenblick zu. Der Agent machte einen irritierten Eindruck.
    »Küß mich«, sagte Laureen.
    Er starrte sie verblüfft an.
    »Küß mich, verdammt noch mal!« zischte sie.
    Er küßte sie. Ihr Mund war weich, halb geöffnet. Er spürte ihre Zunge, ihre Arme, ihren Körper. Kleine Brüste, schmale Hüften, schlank, fast sehnig. Der Körper einer Sportlerin. Und sie roch gut.
    Hinter ihm schrie jemand, gefolgt von einem lauten Poltern. Dann gellten ein Dutzend aufgeregte Stimmen durcheinander.
    Carmichael! dachte Gulf sofort.
    Er riß sich von Laureen los und fuhr herum. Carmichael und die schwarzhaarige Frau lagen reglos, ohnmächtig oder tot, auf dem Boden. Ein dicker Mann mit Hornbrille und in einem schlecht sitzenden braunen Anzug kniete nieder, eine kleine schwarze Arzttasche neben sich, und schien sie zu untersuchen, aber dann verstellten Schaulustige den Blick.
    Etwas stach in seine Hand.
    Er stieß einen gepreßten Schmerzenslaut aus und zog die Hand zurück. Laureen lächelte eigentümlich. Zwischen den Fingern hielt sie eine kleine Nadel.
    »Laureen«, keuchte er, »was hat das …« Seine Stimme versagte. Laureens lächelndes Gesicht verschwamm vor seinen Augen. »Laureen …!« Ihm wurde heiß, alles drehte sich um ihn. Die Beine gaben unter ihm nach, aber ehe er stürzen konnte,

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