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Stimmen in der Nacht - Brodie, L: Stimmen in der Nacht

Stimmen in der Nacht - Brodie, L: Stimmen in der Nacht

Titel: Stimmen in der Nacht - Brodie, L: Stimmen in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Brodie
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Emma nach Washington zog, hatte Maggie begonnen, so zu tun, als ob ihre Mutter tot wäre   – es war ihre Mom, die in jener dunklen Nacht getötet wurde, nicht Jacob Stewart. Manchmal fühlte es sich für Maggie genauso an   – als hätte sie ihre Mom in jener Nacht für immer verloren. Danach war nichts mehr gewesen wie zuvor. Als ihre Mutter ausgezogenwar, hatte Maggie jahrelang ein Foto von ihr unter dem Kissen liegen; das hatte sie ein Mädchen in einem Film tun sehen, deren Mutter an Krebs gestorben war. Es war eine Art zu trauern, und Trauer war ein weniger kompliziertes Gefühl als Scham oder Furcht. Es hatte fast etwas Tröstliches, das Gesicht ihrer Mutter anzuschauen und den Elternteil zu betrauern, den sie verloren hatte. Die allmonatlichen Besuche ihrer Mutter brachten sie nie vollständig zurück ins Leben.
    Erst in den letzten beiden Jahren hatten Maggies Gefühle sich allmählich verändert. Als Heranwachsende hatte sie Verständnis für die Wut ihrer Mutter entwickelt. Sie hatte Truman Capote gelesen und wusste, dass das Leben gefährlich sein konnte. Doch noch viel wichtiger als die seltene Gefahr durch gewalttätige Fremde waren die vielen alltäglichen Gründe, aus denen ein Mensch wütend werden konnte, und Wut war kein Vorrecht der Männer. Die Welt brauchte mehr Unwillen, mehr Empörung über politische und moralische Korruption, mehr intelligenten Protest gegen die allgemeine Dummheit. Es war lächerlich gewesen, ihre Mutter zu fürchten   – die Frau, die nie ihre Hand gegen ihr Kind erhoben hatte, abgesehen von diesem einen einzigen Schlag auf Maggies Oberschenkel. Und nach Jacobs Tod war das Verhalten ihrer Mom gedämpfter gewesen. Seit jener Nacht waren ihre Gefühle für Maggie ganz und gar beschützender Natur gewesen, während ihre Frustrationen sich auf Rob richteten.
    »Hast du deinem Dad erzählt, wer Mrs Murdock ist?«, fragte Dr.   Riley.
    »Meine Mom ist mir zuvorgekommen. Sie hat ihn gestern angerufen, gleich nachdem ich ihr gemailt hatte.«
    »Dann weiß deine Mom also von all dem?«
    »Nicht alles. Ich habe bloß gesagt, dass meine Mathelehrerin Sandra McCluskey ist und sie mir eine Menge über die Vergangenheit erzählt hat. Ich habe meine Mom gebeten, dieses Wochenende herzukommen, damit ich ihr alles erklärenkann   … Mrs Murdock sagt, es war richtig, dass meine Mom Jacob getötet hat. Jacob war böse.«
    »Ist böse das richtige Wort?«, fragte der Arzt.
    Maggie zuckte die Achseln, ohne zu antworten. Sie wollte Jacob Stewart ein Etikett anheften, vorgeben, das Leben sei schwarzweiß. »Ich glaube, ich war ziemlich hart zu meiner Mom. Und das möchte ich wiedergutmachen. Deshalb habe ich sie zum Wochenende hierher eingeladen. Ich habe Mrs Murdock gebeten, sich mit uns zu treffen.«
    Dr.   Rileys Augenbrauen hoben sich kaum merklich. »Was hoffst du damit zu erreichen, dass du Mrs Murdock und deine Mutter zusammenbringst?«
    »Ich weiß nicht   … Vielleicht reinen Tisch machen, Missverständnisse aus dem Weg räumen. Finden Sie die Idee doof?«
    »Ist es deiner Mutter recht?«
    Maggie hielt kurz inne. »Ich weiß nicht, ob es ihr
recht
ist, aber sie hat geschrieben, dass sie kommt.« Sie sah aus dem Fenster auf die nickenden Bäume und fand, dass es an der Zeit war, das Thema zu wechseln. »In den letzten drei Nächten hatte ich keinen einzigen Albtraum. Ist das ein gutes Zeichen?«
    »Offen über alles zu reden, das sollte helfen«, erwiderte Dr.   Riley.
    Ein Ahornblatt wehte gegen das Fenster, und Maggie sah, dass es sich kurz wie eine orangefarbene Qualle zu bewegen schien.
    »Es wäre schön   …«, murmelte sie.
    »Was?«, fragte der Arzt.
    Maggie sah ihn an. »Es wäre schön, wenn die Träume aufhören würden.«

20
    Am Freitagnachmittag vor der Geometriestunde blieb Maggie inmitten der an ihr vorbeidrängenden Flut von Schülern auf dem Korridor vor Mrs Murdocks Klassenzimmer stehen. Sie hatte gedacht, dass es ihr nach dem Treffen in der Bibliothek leichter fallen würde, im Geometriekurs zu sitzen, Mrs Murdocks Haarknoten mit den Dutzenden kreuz und quer steckender Haarklammern anzusehen und im Geiste wieder mal Mikado damit zu spielen. Da sie es sich nicht leisten konnte, im Stoff noch weiter zurückzufallen, hatte Maggie am Mittwoch und Donnerstag versucht, am Unterricht teilzunehmen, und dabei bemerkt, dass es Mrs Murdock hin und wieder sogar gelang, ihr in die Augen zu sehen, wenn auch nicht lange   – die Lehrerin ließ den Blick schon nach

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