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Stimmen in der Nacht - Brodie, L: Stimmen in der Nacht

Stimmen in der Nacht - Brodie, L: Stimmen in der Nacht

Titel: Stimmen in der Nacht - Brodie, L: Stimmen in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Brodie
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Stalker-Dad zu haben. Sie hatte sogar schon eine Bemerkung gemacht, dass sein Chef doch sicher nicht begeistert über einen Mitarbeiter war, der jeden Nachmittag für vierzig Minuten verschwand. Aber ihr Vater arbeitete als Computertechniker am Holford College, wo er flexible Arbeitszeiten hatte und alle Verständnis für ihn zeigten. Wenn der einzige alleinerziehende Vater unter den Mitarbeitern seine Tochter im Auge behalten wollte, würde keiner etwas dagegen einwenden.
    Als er einmal zehn Minuten zu spät kam, war Maggie einfach mit den anderen Mädchen in die Stadtbibliothek gegangen und hatte ihrem Dad erst, nachdem sie dort angekommen war, eine SMS geschrieben. Inzwischen war er schon eine halbe Stunde lang panisch durch die Stadt gefahren und hatte sämtliche Teenagertreffpunkte abgesucht. Mit roten Augen und verletzter Miene hatte er die Stadtbibliothek schließlich erreicht, und Maggie hatte sich nicht nur schuldig gefühlt, sondern sich auch für ihn geschämt. Er hatte sie vor den anderen fest in die Arme geschlossen, denen angesichts dieser übertriebenen Vater-Tochter-Liebe fast die Augen aus dem Kopf gefallen waren. Seitdem wusste Maggie, dass sie sich besser im Auto verkroch, als noch einmal eine öffentliche Demütigung zu riskieren. Weshalb Kate und sie es sich jetzt auch ganz so, als hätten sie einen Chauffeur, auf der Rückbank bequem machten, beide mit den Stöpseln ihrer iPods im Ohr, und nickten, als Rob Greene sie im Rückspiegel ansah und fragte: »Wollt ihr noch ein Eis essen gehen?«

5
    Ein paar Nächte später war Maggie wieder im Wald und saß an die Esche gelehnt da. Die Knie hatte sie bis ans Kinn gezogen und das Nachthemd darübergespannt, sodass sie den Stoff bis unter die Zehen ziehen konnte und ihre nackten Füße den schmutzigen Boden nicht berührten. Sie war aus den Ärmeln geschlüpft und drückte unter dem weißen Zelt ihres Nachthemds Sophies weichen Plüsch an ihre nackte Haut. Mit geschlossenen Augen und so klein wie möglich zusammengekauert hockte Maggie da, bereit, die Dunkelheit auszuhalten.
    Die Wälder Virginias um sie herum dröhnten vom heiseren Zirpen der Zikaden, und gelegentlich ertönte auch das hohe, traurige Geheul einer Kreischeule. Maggie hörte eine Fliegengittertür schlagen, und sie steckte die Arme wieder in die Ärmel, stand auf und trat an den Waldrand, um durch das Gewirr von Ästen, Blättern und Büschen zu spähen. Eine Frau lief über die Wiese, ihr langes Haar wehte ihr um die Schultern. Vermutlich die Studentin, die ihr in die Augen gesehen und sich mit lautlosen Worten bei ihr entschuldigt hatte, dachte Maggie. Ihre Gestalt hob sich vor dem Licht auf der Veranda ab, und auch jetzt lag ihr Gesicht im Schatten, so wie zuvor im Licht des Flurs, sodass Maggie nur einen vagen Eindruck von Wangen, Kinn und Augen hatte und von ihrem Mund, der sich jetzt langsam wie eine dunkle Höhle öffnete.
    »Liebling? Wo bist du?«
    Maggie erstarrte. Das war nicht die Stimme einer Fremden.Das war die ängstliche Stimme ihrer Mutter, die in den Wald hineinrief: »Es ist alles gut, mein Kind. Sag mir, wo du bist.«
    Ihre Mutter war vollkommen weiß   – weiße Hände, weißes Kleid, weißes Gesicht. Sogar ihr Haar, das sonst glänzend rot war, hatte einen blassen metallischen Glanz, so als hätte es sich durch einen mysteriösen alchemistischen Vorgang von Kupfer zu Silber gewandelt. Maggie trat ein paar Schritte zurück und verbarg sich wieder ganz hinter den Blättern, ohne auch nur eine Erwiderung zu flüstern.
Das ist der Geist meiner Mutter,
dachte sie,
so leuchtend wie der Mond,
abgesehen von einigen dunklen Blutflecken auf ihren nackten Füßen. Maggie blickte an ihrem eigenen weißen Nachthemd hinab, an ihren blassen Unterarmen und Händen, und sah, dass auch sie zu einer geisterhaften Gestalt wurde. Sie und ihre Mutter waren ein Paar phosphoreszierender Steine.
    »Du kannst herauskommen, Maggie. Du brauchst keine Angst mehr zu haben.«
    Doch Maggie wusste es besser. Trotz des instinktiven Wunsches, auf ihre Mutter zuzulaufen, sich an sie zu klammern und nie wieder loszulassen, wusste sie, dass es viele Gründe gab, Angst zu haben. Unter diesem schimmernden Äußeren lag etwas Unheimliches, eine unbestimmte Möglichkeit von Gewalt. Sie sah, wie der Geist ihrer Mutter einen Ast zur Seite bog, und als der erste blutbefleckte Fuß in den Wald trat, zwang Maggie sich aufzuwachen.
    »Das ist ein Traum«, sagte sie sich. »Wach auf, Maggie.
Wach jetzt

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