Stimmen in der Nacht - Brodie, L: Stimmen in der Nacht
Ruhe.«
Ein breites Lächeln ließ sein Gesicht erstrahlen, und er presste beide Hände aufs Herz. »Wenn er nicht durch einwirkende Kräfte zur Änderung seines Zustands gezwungen wird.«
Und dann griff er nach Maggies Hand und führte sie unter den erstaunten Blicken der Blondinen auf der Tribüne mitten auf die Tanzfläche, legte ihr eine Hand an ihre Taille und verschränkte die Finger der anderen mit Maggies zu einem altmodischen Stehblues. Maggie, die Paare zu langsamer Musik bislang nur engumschlungen hatte tanzen sehen, stand einen Augenblick lang verwirrt da, verlegen und unsicher.
»Leg deine linke Hand auf meine Schulter«, sagte Mike lächelnd. »Ich führe.«
9
Am Sonntagmorgen lag Maggie wach im Bett und versuchte, die Berührung von Mikes Hand an ihrer Taille noch einmal zu spüren. Als der Song gestern Abend geendet hatte und der Raum wieder zu einem Meer zuckender Leiber wurde, war Maggie errötet ob des gebrochenen Zauberbanns, hatte nur danke gesagt und war zurück zu Kate geeilt. Jetzt bedauerte sie ihre Hast. Wenn sie einfach stehen geblieben wäre und mit ihm geredet hätte, wären sie dann hinausgegangen und hätten ein langes, nachdenkliches Gespräch geführt? Hätte ein einziger wunderbarer Augenblick ihren Lebensweg verändern können?
Als es Abend wurde, hatte das Bild von Mrs Murdock bereits alle Vorstellungen von Mike verdrängt. Am Montagmorgen hatte Maggie nur noch den einen Gedanken, dass sie eine geeignete Höhle finden musste, um darin den Rest des Jahres zu überwintern. Das würde sie nicht nur vor Mrs Murdock retten. Wenn sie die neunte Klasse, die erste an der Highschool, nicht bestand, würden sich vielleicht auch die College-Erwartungen auflösen, die so schwer auf ihr lasteten.
»Willst du nichts frühstücken?«, fragte ihr Dad, als sie lustlos in ihren schon ganz matschigen Cornflakes herumrührte.
»Ich habe keinen Hunger.«
»Fühlst du dich wieder krank?« Er legte ihr die Hand auf die Stirn.
»Vielleicht ein bisschen mulmig.«
»Ich habe den Termin beim Hausarzt heute Mittag noch nicht abgesagt.«
»Ist schon in Ordnung.« Sie schob seine Hand weg.
Als ihr Dad sie an der Schule abgesetzt hatte, ging sie zwar hinein, blieb dann aber im Vorraum stehen und sah sich um. Vielleicht lauerte Mrs Murdock im Korridor und plante irgendeinen Hinterhalt, doch Maggie konnte sie nirgends entdecken. Und als sie schließlich weiterging, erreichte sie ihren Spind, ohne aufgehalten zu werden. Die Wege zu den meisten ihrer Kurse führten an Mrs Murdocks Klassenzimmer vorbei – Maggie musste außen ums Schulgebäude herumgehen, was bedeutete, dass sie zu einigen Unterrichtsstunden atemlos und ein paar Minuten zu spät kam. Aber das war eben nicht zu ändern.
Es gelang ihr, Mrs Murdock bis zur Mittagspause nicht zu Gesicht zu bekommen, und die Cafeteria, die alle Lehrer schon wegen des Lärms, der Gerüche und der Unmengen von Schülern abschreckte, war sowieso immer ein sicherer Hafen. Aber am Endes des Tages wartete noch Mathe, und auch wenn sie die anderen Kurse überstand, würde sie es doch nicht ertragen, Mrs Murdocks Klassenzimmer zu betreten, sie unterrichten und Noten vergeben zu sehen, so als wäre sie eine ganz normale Lehrerin, die ein ganz normales Leben führte.
»Willst du die Kroketten nicht?« Kate griff nach Maggies Teller.
»Du kannst alles haben.« Maggie schob ihr das Tablett hinüber.
Am liebsten hätte sie ihren Dad angerufen und ihm gesagt, dass ihr wieder übel sei. Aber das würde seinen Arbeitstag zerreißen, und er würde sich vermutlich auch ärgern, dass er den Arzttermin nun bereits abgesagt hatte. Stattdessen beschloss sie, die siebte Unterrichtsstunde einfach in der »Mädchen-Lounge« zu verbringen – einer kaum frequentierten Toilette im Nordwestflügel der Schule. Mädchen mit unbestimmten Beschwerden, mit Krämpfen oder Kopfschmerzen versammelten sich regelmäßig dort und saßen auf denWaschbecken herum oder schlossen sich in eine der Kabinen ein, wo sie eine halbe Stunde lang SMS schrieben.
Die stellvertretende Direktorin Mrs Walker machte alle paar Tage eine Razzia dort und schickte die Mädchen mit einem »Ja, ja« als Antwort auf deren Geschichten von PM S-Beschwerden oder Nervenzusammenbrüchen zurück in den Unterricht. Ersttäterinnen bekamen eine harsche Verwarnung, Zweittäterinnen mussten eine Stunde nachsitzen. Wer dreimal erwischt wurde, musste damit rechnen, einen Tag lang Schulverweis zu bekommen. Mrs Walker
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