Stimmen in der Nacht - Brodie, L: Stimmen in der Nacht
enger, trägerloser Korsage im Nuttenschick zu kaufen, die den meisten Mädchen in ihrer Klasse als Inbegriff von Eleganz galten. Die knapp drei Zentimeter hohen Absätze der Sandaletten, die Kate ihr lieh, fand sie gerade noch akzeptabel, höher wollte sie definitiv nicht hinaus. Beim Schminken ihres Gesichts ließ sie Kate freie Hand und duldete Eyeliner, Rouge, burgunderrotes Lipgloss und braunen, goldgesprenkelten Lidschatten.
»Du siehst fantastisch aus«, sagte Kate. »Du solltest wirklich öfter Make-up tragen. Wenigstens Mascara und etwas Lippenstift.«
Als Maggie in den Spiegel sah, blickte ihr eine Gothic-Prinzessin entgegen. »Na ja«, meinte sie und verzog den Mund.
Schon eine Stunde später hatten viele Mädchen ihre High Heels an den Wänden der Turnhalle abgelegt. Dekoriert war sie nur mit weißen, um die Türen drapierten Weihnachtslichterkettenund mit Bündeln roter und goldener Luftballons, die an den äußeren Enden der Tribünenbänke festgebunden waren. Die meisten der klugen Schüler saßen auf diesen Tribünenbänken, so als wäre der Ball lediglich ein weiteres Sportereignis und ihre Rolle die von Zuschauern, die den Sportlern und Cheerleadern zusahen.
An der gegenüberliegenden Wand hatte man einen Tisch mit Erfrischungen aufgestellt: Schüsseln voller Chips und Wasserflaschen – alles, was weder mit Marihuana noch mit Alkohol versetzt werden konnte. Von ihrem Posten in der dritten Tribünenreihe aus hatte Maggie einen guten Blick auf Kate, die ausgelassen in einem Kreis von Mädchen tanzte, und auf Mike Hodges, der neben den Doritos stand. Er trug einen blauen Blazer und eine karminrote Krawatte, die vermutlich seine Mutter ausgesucht hatte, dachte Maggie, und wirkte irgendwie schlaksig und unbeholfen, aber auf attraktive Weise, ein bisschen wie James Stewart. Er war beim Footballspiel nicht zum Schulkönig gekrönt worden. Die Schüler hatten sich für den dicksten Jungen auf dem Platz entschieden – Dave Huffner, der trotz seines Gewichts ein beeindruckendes Talent für Steptanz besaß. Bei der Talentshow im letzten Frühling hatte er stürmischen Beifall geerntet, als er zu einem Medley aus ›Singing in the Rain‹ und ›It’s Raining Men‹ steppte.
Maggie sah, wie Mike das braune Haar immer wieder übers rechte Auge fiel und wie er es immer wieder zurückstrich, während er sich mit einem Freund unterhielt, der neben ihm stand.
»Er ist echt süß«, sagte ein Mädchen vor Maggie.
»Ja, aber irgendwie auch seltsam«, erwiderte eine andere.
»Und wenn schon. Er bleibt immer noch süß. Ich fordere ihn mal zum Tanzen auf.«
Maggie setzte sich kerzengerade auf und sah ihr nach. Das Mädchen schlidderte auf bloßen Seidenstrümpfen hinüber zu Mike, legte ihm von hinten eine Hand auf die Schulterund fuhr sich beim Sprechen immer wieder mit den Fingern durch das lange blonde Haar. Maggie fragte sich, wie ihr eigenes dickes Haar wohl aussehen würde, wenn sie so oft mit den Fingern hindurchfahren würde; ihre rötlich braunen Locken würden ihr wahrscheinlich trapezförmig vom Kopf abstehen.
Zu ihrer Überraschung kam das Mädchen zu ihrer Freundin auf der Tribüne zurück.
»Hast du ihn gefragt?«
»Ja.«
»Und was hat er gesagt?«
»Dass er mit mir tanzen würde, wenn ich ihm das Newton’sche Trägheitsgesetz nennen könnte.«
»Oh mein Gott, ich hab dir doch gesagt, der ist seltsam.«
»Mehr als seltsam.« Sie brachen in Gelächter aus.
Maggie lächelte, dann stand sie auf und ging zu dem Tisch mit den Erfrischungen hinüber. Sie wollte keine Chips, aus Furcht vor Dorito-Atem und orangeverfärbten Zähnen, aber sie nahm sich einen Tostito und knabberte daran, bis Mike sich zu ihr umdrehte.
»Echt schade, dass du nicht Schulkönig geworden bist.«
»Ist schon okay.« Mike lächelte und kam auf sie zu. »Dave steht die Krone sowieso viel besser. Ich hab gehört, dass er nach dem Ball bei sich zu Hause noch eine Party gibt. Gehst du hin?«
Maggie wurde rot. »Die ist bestimmt bloß für ältere Schüler wie dich. Und außerdem glaubt mein Dad, dass ich mich in einen Kürbis verwandle, wenn ich um Mitternacht nicht zu Hause bin.«
Auf der Tanzfläche neben ihnen endete die schnelle Musik, und Maggie sah, dass Kate die Tribüne nach ihr absuchte.
»Jetzt gehen wir’s mal etwas langsamer an«, murmelte der DJ, »mit einer Ballade von Adele.«
Maggie holte einmal tief Luft. »Übrigens, Mike.«
»Ja?«
»Ein Körper im Zustand der Ruhe verharrt im Zustand der
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