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Stimmen in der Nacht - Brodie, L: Stimmen in der Nacht

Stimmen in der Nacht - Brodie, L: Stimmen in der Nacht

Titel: Stimmen in der Nacht - Brodie, L: Stimmen in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Brodie
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hin schimpften.
    Emma respektierte Marias Wunsch, den Jungen zu schützen. Aber was glaubte sie eigentlich, was Christian jeden Tag zu Hause oder auf der Straße zu sehen bekam? Gangs, Drogen, der gewalttätige Stiefvater. Dagegen war das North Capitol Center ein Luxushotel, ausgestattet mit einem Basketballplatz, einem renovierten Spielplatz und einer neuen Kletterwand, die von ehrenamtlichen Helfern bewacht wurde. Hier gab es warme Mahlzeiten, saubere Betten und sechs extra für Kinder eingerichtete Computer, an denen Christian Lernspiele spielen oder auf kindergesicherten Webseiten surfen konnte. Maria wollte die Illusion aufrechterhalten, dass Christian in einer normalen Familie lebte, mit liebenden Eltern, in einer sauberen, sicheren Wohnung und mit einer fröhlichen Tante in der Nähe, die ihn manchmal zu unangekündigten Übernachtungen bei sich zu Hause von der Schule abholte.
    »Weiß Christian, was er tun muss, wenn Carlos auftaucht?«, fragte Emma.
    »Carlos arbeitet heute bis neun«, erwiderte Maria. »Er wird erst mitkriegen, dass ich nicht zu Hause bin, wenn er aus der Arbeit kommt.«
    »Carlos ist unberechenbar«, sagte Emma sanft. »Vielleicht geht er einfach nicht zur Arbeit oder kommt früher nach Hause. Und er vermutet, dass Sie hier sind, oder? Er hat Ihnen doch gedroht?«
    Maria verstand. »Wenn er bei Christina auftaucht, ruft sie die Polizei.« Emma warf Maria einen strengen Blick zu, und die junge Frau senkte den Blick und gab mit einem stummenAchselzucken zu, dass die Polizei wohl gar nicht erst kommen würde, vor allem dann nicht, wenn die Gewalt nur angedroht und noch nicht ausgeübt worden war. In Marias Viertel waren häusliche Streitereien so üblich wie regnerische Tage.
    »Christinas Freund kommt um sieben nach Hause. Er ist groß, und er mag Carlos nicht.«
    »Das ist gut.« Emma nickte. Carlos terrorisierte gern zierliche Frauen und Kinder, doch in der Gegenwart erwachsener Männer verfiel er normalerweise in unterdrücktes Grollen.
    Emma griff quer über ihren Schreibtisch nach dem Telefon und stellte es auf den Beistelltisch neben Maria. »Ich möchte, dass Sie Christina anrufen. Sagen Sie ihr, sie soll mit Christian in den Park oder eine Cola trinken gehen, und sagen Sie ihr, dass sie so lange von zu Hause wegbleiben soll, bis ihr Freund da ist. Sie soll die Lokale meiden, in die sie sonst immer geht, weil Carlos dort vielleicht nach ihr suchen wird. Am besten ist es, wenn sie sich an belebten Orten aufhält. Während Sie telefonieren, gehe ich nachsehen, ob Ihr Bett bezogen und Ihr Spind sauber ist.«
    Sie öffnete ihre Bürotür und winkte Ruth herbei. »Helfen Sie Maria bitte, wenn Sie irgendetwas braucht.« Emma drehte sich noch einmal zu Maria um. »Möchten Sie einen Kaffee oder eine Limo?«
    »Eine Cola, bitte«, erwiderte Maria, und Ruth nahm eine Flasche aus dem kleinen Kühlschrank.
    Unterdessen griff Emma nach der Platte mit Gebäck, die auf Ruths Schreibtisch stand, kehrte noch einmal in ihr Büro zurück und reichte sie Maria. »Nehmen Sie sich von dem selbst gebackenen Kürbiskuchen.«
    Zweimal in der Woche gaben ehrenamtliche Helferinnen aus der Umgebung den Bewohnerinnen des Heims Unterricht im Backen, und wenn die Cafeteria geschlossen war, durften die Frauen die große Küche benutzen, um sich in der Kunst des Blätterteigs und steifer Baisers zu üben. Emmawarb fürs Backen als Arznei für die Seele. In einer Welt, in der eine Frau so vieles nicht kontrollieren konnte, bot das Backen eine gewisse Stabilität. Und sie hoffte auch, dass es den Kindern im Heim den Eindruck eines Zuhauses vermittelte und vielleicht Trost spendete, ihren Müttern beim Backen von Bananen- und Zitronenkuchen helfen zu können. Emma sagte den Kirchengemeinden in der Umgebung oft, dass das Heim Mehl und Zucker genauso nötig brauche wie Decken und Bettbezüge, und sie betrachtete es als ein gewisses moralisches Defizit, wenn sie selbst manchmal am Abend zu Hause rohen Keksteig aus der Packung aß.
    »Ich bin gleich wieder da«, sagte sie zu Maria, und an der Bürotür murmelte sie Ruth noch zu: »Holen Sie den Erste-Hilfe-Koffer und versuchen Sie, herauszufinden, ob sie noch weitere Verletzungen hat.« Ihre Assistentin war ausgebildete Krankenschwester und kümmerte sich neben ihren Aufgaben in der Verwaltung in leichteren Fällen auch um die medizinische Versorgung der Bewohner.
    Als Emma auf den Korridor hinaustrat, blieb ihr Blick an den Messingbuchstaben an der Holztür hängen:

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