Stirb ewig
– «
Sie schaute ihn prüfend an. »Reiß dich zusammen, Mann.«
Er nickte hilflos. Dann war sie weg.
Mark blieb noch eine Stunde und beschäftigte sich mit seinen E-Mails, bis ihn die Putzfrauen mit ihren Staubsaugern ablenkten. Er würde die restliche Arbeit mit nach Hause nehmen.
Auf dem Weg zur Tür riss er das Päckchen auf. Darin lag ein kleiner Gegenstand, der eng in Zellophan gewickelt und mit Klebeband versehen war.
Stirnrunzelnd fragte er sich, was das wohl sein mochte? Eine SIM-Card für sein Handy? Ein Ersatzteil für einen PC?
Er holte eine Schere aus der Schublade und schnitt ein Ende ab. Spähte hinein.
Zuerst hielt er es für einen Witz, einen künstlichen Finger, wie man sie in Scherzartikelläden kaufen konnte. Dann sah er das Blut.
»Nein.« Ihm wurde flau. »Nein. NEIN.«
Aus der Zellophanhülle rollte Michael Harrisons abgetrennte Fingerspitze und landete geräuschlos auf dem Teppich.
Entsetzt trat Mark zurück. Im Päckchen lag ein Zettel.
69
GRACE BOG VON DER HAUPTSTRASSE auf eine schmale Landstraße am Stadtrand von Lewes ab. Er kam an einem Landmaschinenhändler und einer Telefonzelle vorbei und sah dann zu seiner Linken einen hohen, teilweise eingesunkenen Maschendrahtzaun, der oben mit Stacheldraht versehen war. Zwei Tore, die aussahen, als hätte man sie seit Jahren nicht mehr geschlossen. An einem hing ein verblichenes, rissiges Schild mit der Aufschrift ABSCHLEPPDIENST WHEELER. Daneben eine kleine Warnung: VORSICHT BISSIGER HUND!
Das Gelände war mehr als heruntergekommen und so ziemlich das Unordentlichste, was Grace je erlebt hatte.
Auf dem Hof parkte ein großer, blauer Abschleppwagen zwischen ausgeschlachteten Autowracks, die teils verrostet, teils völlig zermalmt waren. Ein Toyota-Kleinwagen sah aus, als hätte man ihn dort abgestellt und alles geklaut, was nicht niet- und nagelfest war.
Überall stapelten sich Bretter und Holzstücke. Er bemerkte ein Holzgerüst, eine rostige Kreissäge, einen altersschwachen Bürocontainer, an dem ein mit Kreide beschriftetes Schild lehnte: WEIHNACHTSBAUMVERKAUF. Und einen Holzbungalow, der akut einsturzgefährdet schien.
Als Grace den Motor abstellte, empfing ihn lautes Gebell, das die Stille des warmen Abends durchbrach, und er blieb vorsichtshalber noch einen Moment im Wagen sitzen. Dann ging die Haustür auf, und ein Trumm von einem Mann erschien. Er war Mitte fünfzig, mit schütterem, fettigem Haar, dunklem Bartschatten und dickem Bierbauch, der sich über die Gürtelschnalle seiner braunen Arbeitshose wölbte.
»Mr Wheeler?«, fragte Grace und trat näher, horchte aber immer noch auf das Gebell, das ständig lauter wurde.
»Ja?« Der Mann hatte ein sanftes Gesicht mit großen, traurigen Augen und kräftige Hände. Er roch nach Tabak und Schmieröl.
Grace zeigte seinen Ausweis. »Detective Superintendent Grace von der Kripo Sussex. Das mit Ihrem Sohn tut mir sehr Leid.«
Der Mann stand reglos da, und Grace bemerkte, dass er zitterte. Er hatte die Hände geballt, eine Träne rollte über seine Wangen. »Wollen Sie reinkommen?«
»Gern, wenn Sie ein paar Minuten Zeit hätten.«
Im Haus roch es nach Kettenraucher. Grace folgte dem Mann in ein schäbiges Wohnzimmer mit Polstergarnitur und einem großen, alten Fernseher. Boden und Möbel waren flächendeckend mit Motorradzeitschriften, Country-und-Western-Heften und Plattenhüllen übersät. Auf dem Sideboard entdeckte er das Foto einer blonden Frau, deren Hände auf den Schultern eines Jungen mit Roller ruhten, daneben billige Nippfiguren aus Porzellan, doch die Wände waren kahl. Eine Uhr auf dem Kaminsims, die in den Bauch eines Rennpferdes eingelassen war, stand auf zehn nach sieben. Grace bemerkte überrascht, dass sie sogar halbwegs richtig ging.
Phil Wheeler schob einige Country-Plattenhüllen von einem Sessel und erklärte: »Davey mochte das Zeug, hat es ständig gehört, und er sammelte – «
Er verstummte und wandte sich zur Tür. »Tee?«
»Nein, danke«, sagte Grace, der lieber nicht – aber nun eben doch – an den hygienischen Zustand der Küche dachte.
Eigentlich hätte die erste Befragung durch einen jüngeren Kollegen erfolgen sollen, doch Grace hatte immer viel davon gehalten, als Ermittlungsleiter selbst vor Ort zu arbeiten. Es gehörte zu den Aspekten der Polizeiarbeit, die er persönlich am interessantesten und lohnendsten fand.
Nach einigen Minuten kam Phil Wheeler zurück, fegte weitere Plattenhüllen und Zeitschriften von
Weitere Kostenlose Bücher