Stirb für mich: Thriller
sprechen.«
»Julian war unbeeindruckt von mir; zumindest schien es so.«
»Von deinem Aussehen?«
»Von allem«, sagte sie. »Ich musste mich schwer anstrengen, bis er mich überhaupt zur Kenntnis genommen hat. Er wurde nicht gleich zu Wachs in meinen Händen.«
»Ich verstehe immer noch nicht, warum du ihn attraktiv gefunden hast«, sagte die Stimme. »Er wusste, was er wollte, und hat dich nicht beachtet. Klingt nicht wie eine besonders tolle Empfehlung. Hast du nicht etwas Positiveres?«
»Es war nicht sein Aussehen«, erklärte sie. »Er hatte scheußliche Zähne. Weil er zu viel Speed genommen hatte, sagte er.«
»Positiv, habe ich gesagt, Alyshia.«
»Er war intelligent; er sah die Dinge anders.«
»Wie ein paar tausend andere in Oxford auch«, sagte die Stimme. »Komm schon, Alyshia.«
Was war es gewesen? Die Frage hallte in ihrem Kopf wider. Was hatte damals von ihr Besitz ergriffen? Denn eine Besessenheit war es gewesen.
»Kanntest du seinen richtigen Namen?«
»Was meinen Sie mit seinem richtigen Namen?«
»Der Daily Telegraph hat ihn während seines Prozesses ausgegraben. Sein richtiger Name ist John Black. Hat er über seine Eltern gesprochen, was sie tun, wo sie wohnen?«
»Sein Vater hat eine Hedge-Firma für Fluggesellschaften und Flugbenzin. Seine Mutter war Anwältin. Sie wohnten in der Old Brompton Road. Wir sind mal an ihrem Haus vorbeigefahren.«
»Ich wette, ihr seid nicht reingegangen.«
»Er und seine Eltern haben sich nicht verstanden.«
»Als Julian eingebuchtet wurde, war er einunddreißig. Sein Vater war sieben Jahre zuvor an Leberkrebs gestorben. Seine Mutter lebt nach wie vor von Sozialhilfe in Nottingham. Zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung war sie sechsundvierzig. Sie ist Teil der Statistiken, die ein peinlicher Makel für England sind – der höchste Prozentsatz von Teenagerschwangerschaften in Europa. Und da ist noch etwas, was du vielleicht wissen möchtest: Julian schuldete Abiola dreißig Riesen. Er hatte Spielschulden angehäuft, um seine Drogensucht zu finanzieren. Teil des Deals war es, dass er Abiola ein Entree bei dir verschaffen konnte.«
Alyshia hatte das Gefühl, in einem Loch begraben zu sein, tief im Fundament eines Gebäudes, das über ihr eingestürzt war.
»Und bevor du fragst, das ist alles öffentlich bekannt«, sagte die Stimme.
Sie starrte in die sich ausbreitende Dunkelheit, und ihre Wimpern streiften den Samt der Schlafmaske, als sie sie blinzelnd in sich aufnahm.
»Denk darüber nach«, sagte die Stimme. »Was an Julian hat dich angezogen?«
ZEHN
Montag, 12. März 2012, 7.30 Uhr,
Innenministerium, Marsham Street, London SW1
I m Raum war ein Mensch mehr anwesend, als die Innenministerin erwartet hatte. Er wirkte hart und sehnig mit hohen Wangenknochen, einer kleinen Narbe unter dem linken Auge und einer permanent gerunzelten Stirn, die ihn aussehen ließ, als wäre er ständig neugierig, was man als Nächstes sagen würde.
»Das ist Simon Deacon vom MI 6«, sagte Joyce Hunter vom MI 5. »Ich dachte, es würde Zeit sparen, wenn er an der Besprechung teilnimmt. Er leitet die Asienabteilung in Vauxhall Cross.«
Natasha Radcliffe, die Innenministerin, war verärgert, dass der kleine Gefallen, den sie dem Wirtschaftsminister getan hatte, jetzt wieder in ihrem Feld gelandet war. Am Morgen hatte sie von Mervin Stanley erfahren, dass am Abend zuvor jemand versucht hatte, Frank D’Cruz in Knightsbridge zu erschießen. Die Nachricht hatte die Runde gemacht, und Radcliffe hatte Barbara Richmond angerufen, Staatsministerin für Sicherheit im Innenministerium, die im Vorfeld der Olympischen Spiele doppelt nervös war. Nach diesem Telefonat hatte sie entschieden, dass es das Beste war, ein Treffen mit dem MI 5 einzuberufen, um mögliche Sicherheitsfragen im Zusammenhang mit dieser Entführung und dem Mordversuch zu erörtern. Wenigstens hatte die Presse noch keinen Wind von der Sache bekommen.
»Haben Sie schon mal von Frank D’Cruz gehört?«, fragte sie.
»Natürlich haben wir von ihm gehört«, antwortete Deacon. »Er ist dauernd in den Nachrichten. Wir haben eine Akte über ihn angelegt, seit wir von seinem Interesse erfahren haben, in Großbritannien zu investieren; einer meiner Agenten durchleuchtet ihn. Bis jetzt sind die Berichte recht nichtssagend ausgefallen und noch nicht weitergeleitet worden, weil bis heute niemand nach Informationen über Mr D’Cruz gefragt hat.«
»Und was ist mit dem MI 5?«, fragte Radcliffe. »Haben Sie auch
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