Stirb für mich: Thriller
Lebensstil und, um Chicos grässliches Wort zu benutzen, nach ihrer Fickbarkeit beurteilt wurden. In Mumbai oder Bombay, wie es damals hieß, hatte das etwas besonders Hässliches. Während wir auf gläsernen Böden tanzten und alle brennend vor Neid zu uns emporschauten, lebten Millionen buchstäblich in der Scheiße. Es gab Tage, an denen ich es einfach nicht über mich brachte, das Haus zu verlassen. Die Gegensätze waren zu scheußlich. Chico wusste, dass ich einfach nicht dorthin passte. Er gründete eine Begleitagentur für sich und seine Freunde. Mitte der Neunziger war unsere Beziehung am Ende. Ich verbrachte mehr als die Hälfte des Jahres in London, in dem Haus am Edwardes Square, das er 1992 für mich gekauft hat. 1997 habe ich einen Job angenommen, und mein Leben in Indien war vorüber.«
»Was ist mit seiner neuen Frau?«
»Sharmila? Sie stammt aus armen Verhältnissen, doch sie ist sehr schön. Sie war die Geliebte irgendeines Gangsters, Chico hat sie geholt, um seine Begleitagentur zu leiten, und dann … hat sie meinen Platz eingenommen.«
»Kein Groll und keine Verbitterung?«
»Nein. Chico hat sich immer sehr gut um mich gekümmert. Wir haben nie wegen Alyshia gestritten. Er wollte, dass sie hier erzogen wird, Mumbai aber trotzdem kennt. Deshalb war sie die meiste Zeit des Jahres bei mir und hat ihre Ferien in Indien verbracht. Wenn wir uns je überworfen hätten, dann wegen Alyshia, und das haben wir nie zugelassen.«
»Gut geschlafen?«, fragte die Stimme.
»Ja«, sagte Alyshia, benommen von dem Betäubungsmittel, das man ihr gegeben hatte, orientierungslos und erstaunt über das Mitgefühl in der Stimme, die den Raum erfüllte.
»Bereit für einen brandneuen Tag?«
»Nein«, erwiderte sie ausdruckslos, als ihr die Realität dämmerte.
»Selbst dann nicht, wenn ich dir sagen würde, dass es dein letzter Tag auf Erden ist?«
Furcht ergriff sie, doch sie schaffte ein gleichgültiges Schulterzucken. »Ich sitze hier fest«, sagte sie. »Worauf sollte ich mich freuen?«
»Ja«, sagte die Stimme verschwörerisch. »Was ist das Leben ohne Freiheit?«
»Genau«, erwiderte Alyshia scheinbar gelangweilt.
»Es ist nur das Leben, aber du wärst überrascht, wie sehr man daran hängt.«
»Darf ich meine Schlafmaske abnehmen?«, fragte sie und erkannte im selben Moment, wie unterwürfig sie geworden war.
»Braves Mädchen«, sagte die Stimme. »Ich wusste, dass du es schnell begreifen würdest.«
Sie hob die Hand.
»Aber nein, darfst du nicht, jedenfalls fürs Erste nicht.«
»In diesem Raum gibt es nichts zu sehen.«
»Dann sollte es dir ja auch nichts ausmachen«, sagte die Stimme. »Entspann dich. Konzentrier dich. Versuche, dich an jene Augenblicke zu erinnern, die so tief in deinem Unterbewusstsein vergraben sind und doch so viel enthüllen.«
»Was sind Sie?«
»Ein wahnsinniger Psychologe? Lieber nicht, solltest du hoffen. Ich werde versuchen, nicht zu viele Fehler zu machen, damit du nicht unwiederbringlich traumatisiert wirst.«
»Ich dachte, Sie könnten mein Beichtvater sein«, sagte Alyshia. »Bei dem ganzen Gerede von Schuld und dem letzten Tag auf Erden.«
»Nun, katholisch bist du ja, zumindest theoretisch. Gehst du jemals zur Messe?«
»Ich bin getauft.«
»Das ist immerhin etwas, aber du hast deine Sünden nie gebeichtet?«
»In einem Moment hat man noch keine Sünden zu beichten, und im nächsten …«
»Sind sie dir über den Kopf gewachsen«, sagte die Stimme. »Wie wenig doch die, die einem am nächsten stehen, wissen, wer man wirklich ist. Wenn man Kind ist, sehen sie, was sie sehen wollen, und im Laufe der Zeit verbringt man immer mehr Zeit abseits ihres wachenden Blicks, bis sie einen ganz aus den Augen verloren haben.«
»Sie erzählen meiner Mutter doch nichts von Abiola?«
»Ich bin sicher, jede schöne Frau hat irgendwann in ihrem Leben etwas ähnlich Schreckliches erlebt.«
»Ich büße für meine Sünden.«
»Wie? Indem du dich mit Schwarzen anfreundest?«
»Ich hab gesehen, wie ein schwarzer Junge in The Strand niedergestochen wurde … war das letzte Nacht?«
»Und du hast die Polizei gerufen«, sagte die Stimme. »Ich bin mir nicht sicher, ob ich das Buße nennen würde.«
»Woher wissen Sie von dem Anruf?«, fragte Alyshia aggressiv. »Der einzige Mensch, der davon wusste, war Jim. Steckt Jim in der Sache mit drin?«
»Du wärst überrascht, wie viele Menschen bereit waren, uns zu helfen. Für einige war es bloß eine Frage des Geldes. Wir
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