Stirb für mich: Thriller
verliebt, und meine Eltern waren entzückt von Chicos Charme. Er hatte schon damals, zu Beginn seiner Karriere, ein mächtiges Netzwerk. Einflussreiche Leute, Politiker, die mein Vater kannte, legten ein gutes Wort für ihn ein.«
»Import-Export deckt in jenem Teil der Welt eine Vielzahl von Sünden ab.«
»Ich kann nicht behaupten, dass alle seine Bekannten von der Sorte waren, die man seinen Eltern vorstellen würde«, sagte Isabel. »Da waren schon ein paar raue Typen darunter, und das hat sich, glaube ich, auch nicht geändert. Ich nehme an, es ist immer nützlich, Leute zu haben, die die Drecksarbeit erledigen können, wie zum Beispiel Menschen zum Umzug zu bewegen, die auf dem Grundstück eines geplanten Neubaus wohnen. In dem Telefonat, das der Entführer belauscht hat, hat Chico über irgendwelche Slumbewohner geschimpft, die in der Innenstadt von Mumbai gegen ihre Vertreibung demonstrierten.«
»Und wann kam der Anruf aus Bollywood?«
»Er wird dir das nicht erzählen, weil er möchte, dass man ihn immer als großen Star sieht, aber er hatte schon mit Anfang zwanzig Kurzauftritte und Nebenrollen in Filmen«, sagte Isabel. »Filme waren immer seine Obsession. Seinen großen Durchbruch hatte er allerdings erst sehr viel später, ein paar Jahre nach unserer Hochzeit.«
»Es ist allgemein bekannt, dass es enge Verbindungen zwischen Bollywood und der Mafia gibt.«
»Tatsächlich? Meine englischen Freunde wissen das nicht«, sagte Isabel.
»Ich weiß nicht, ob Engländer aus unserer Generation Bollywood überhaupt schon richtig zur Kenntnis genommen haben«, sagte Boxer. »Weißt du, wie er zum Filmstar wurde? Ich bezweifle, dass man in jenen Tagen entdeckt wurde; wahrscheinlich eher ›gefördert‹ à la Frank Sinatra.«
»Chicos Version der Geschichte geht so, dass er bei Probeaufnahmen mit dem Regisseur Mani Ratnam brilliert hat.«
»Wer ist das?«
»Er hat einen sehr berühmten Gangsterfilm namens Nayagan gemacht, basierend auf dem Leben eines großen Mafiabosses«, sagte Isabel. »Aber Chicos Version überzeugt mich nicht. Sie könnte auch eine seiner Fantasien sein. Manchmal vermengt er seine eigene Filmographie mit der von Anil Kapoor.«
»Trotzdem hat er eine Rolle in einem Film bekommen.«
»Eine Hauptrolle. Es war ein Gangsterfilm, in dem er einen sympathischen goonda spielte, einen kleinen Gangster. Das war Ende 1985. Er war damals achtundzwanzig und er nannte sich um in Anadi Kapoor.«
»Wieso das?«
»Frank ist Christ, Katholik, wie die meisten Menschen aus Goa. Bollywood war eine hinduistisch-muslimische Branche, deshalb dachte er, ein Hindu-Name würde ihm weiterhelfen. Er war damals eng befreundet mit Anil Kapoor. Sie sind etwa gleich alt. Inzwischen ist Anil natürlich berühmt, aber damals war er noch kein so großer Star. Also nahm Chico den Namen Kapoor an und setzte Anadi davor, was ›ewig‹ bedeutet. An Selbstbewusstsein hat es ihm nie gemangelt.«
»Hat es dir gefallen, dass Frank berühmt war?«
»Bollywood hat für ein Massenpublikum produziert. Ich mochte die Tanzszenen, aber ansonsten waren die Filme für meinen Geschmack ein bisschen naiv. Ich fand es schwierig, Begeisterung für etwas zu entwickeln, das ich nicht bewundern konnte«, sagte Isabel. »Aber du hast recht, es wurden auch deshalb so viele Filme über die Unterwelt von Bombay gedreht, weil viele ihrer Vertreter Beziehungen in der Branche hatten. Das und Cricket, ein Sport, den ich schon immer öde fand, waren die Hauptgesprächsthemen. Ich habe dort nicht besonders gut hineingepasst.«
»Das heißt, du wusstest auch nicht viel über Franks Geschäfte?«
»Es hat ihm genützt, dass er weder Hindu noch Muslim und außerdem ein Filmstar war. So konnte er auf beiden Seiten des Zaunes grasen und hatte Freunde in beiden Lagern. Außerdem genoss er ein wenig mehr Bewegungsspielraum, weil die indische Regierung etwa zu der Zeit die Wirtschaft liberalisiert hat. Chico konnte Firmen gründen, kaufen und verkaufen, er hatte beste Verbindungen in höchste Regierungskreise, um sich die lukrativsten Infrastruktur-Projekte herauszupicken, und so weiter. Er war der richtige Mann zur richtigen Zeit am richtigen Ort mit dem richtigen Netzwerk.«
»War das die Zeit, in der sich deine Beziehung zu Chico verändert hat?«
»Ich habe dort nicht nur nicht hineingepasst. Ich habe diese Welt gehasst. Es war eine Neureichenwelt, in der Männer um Geld und Macht kämpften und Frauen nach ihrem Aussehen, ihrer Kleidung, ihrem
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