Stirb für mich: Thriller
ein kleiner Mann mit kugeliger Wampe und vollem, grauem, nach hinten gekämmtem Haar. Seine Ausdrucksweise ließ vermuten, dass er viel Zeit in Bibliotheken verbracht hatte, und beim Reden häufte er abwesend acht Löffel Zucker in seinen Tee.
»Wissen Sie, vielleicht liegt es an der Wirtschaftskrise oder den Sparmaßnahmen der Regierung«, sagte er, »aber ich habe in den letzten Jahren mehr Gerede über Entführungen gehört als …«
»Was hat die Wirtschaftskrise damit zu tun?«
»Weniger junge Leute mit Jobs, weniger Geld, Drogen zu kaufen, also müssen sich die Dealer anderweitig umtun, um ihr Geld zu verdienen.«
»Sie sollten in einem Think-Tank der Regierung sitzen«, sagte Mercy. »Hier sind Sie echt verschwendet.«
»Auf der Straße ist weniger Geld im Umlauf, will ich nur sagen.«
»Ich dachte, deswegen wird Pflanzennahrung aus China importiert, die die Kids schnupfen können.«
»Pflanzennahrung?«
»Mephedron«, sagte Mercy. »Machen Sie sich deswegen keinen Kopf, Admiral. Erzählen Sie mir, warum Kidnapping wieder in Mode ist.«
»Vor allem die schnelle Vierundzwanzig-Stunden-Nummer. Nichts Kompliziertes. Das Opfer aufspüren, in den Laderaum eines Transporters sperren, ein bisschen herumschubsen, betäuben, ein paar Anrufe machen, das Geld kassieren, den Hinweis geben und weg.«
»Was ist mit längeren Sachen für großes Geld?«
»Sie meinen die neue Reichensteuer?«, fragte Nelson und stach so heftig auf sein Spiegelei ein, als wäre es das Auge eines Bankers. »Die Säcke für den ganzen Scheiß bezahlen lassen, den sie uns zumuten. Ihre Kinder klauen und ihnen eine alternative Bildung bieten.«
»Worin? Hunderennen?«
»An Hunden ist nichts verkehrt, Mercy.«
»Sagen Sie Bescheid, wenn die Gangs ihren ersten Beckett-Workshop anbieten, vielleicht komme ich mal vorbei«, sagte Mercy. »Haben Sie gehört, ob irgendjemand in eine längerfristige Aktion verwickelt ist?«
»Was? Wie bei dem indischen Geschäftsmann, den man sich vor einer Weile in East Ham geschnappt hat? Haben eine Fergie verlangt. Er wurde in einem Gewerbegebiet in Essex gefangen gehalten.«
»Eine Fergie?«
»Das ist eine halbe Million.«
»Sie vergessen wohl nie etwas, Admiral?«, fragte Mercy. »Ja, so was meine ich. Etwas Längerfristiges. Sicheres Haus. Hohe Lösegeldforderung.«
Mercy erkannte Nelsons Methode. Bei der Entführung des Inders hatte er ihr Informationen geliefert, die überaus nützlich für die Rettung der Geisel gewesen waren. Sie spürte ihre Erregung bei dem Gedanken, dass er vielleicht wirklich etwas für sie hatte.
»So leicht ist das in diesem Teil Londons nicht mehr.«
»Sie meinen mit Freunden wie Ihnen, die überall rumhängen und jedes harmlose Gespräch belauschen?«
»Sagen Sie mir, wie Sie zurechtkommen, wenn Sie Ihren rechten Arm verloren haben, Mercy.«
»War nicht so gemeint.«
»Ja, ja«, sagte Nelson ohne Überzeugung.
»Was, wenn jemand etwas auf Bestellung machen lässt?«, bohrte Mercy weiter. »Ein Geschäftsmann zum Beispiel, der Geld und Mittel hat, aber keine Erfahrung und keine Leute. Und der deshalb eine Bande anheuert, die die Entführung in seinem Namen durchführt?«
Nelson nickte, auf sein Essen konzentriert. Er lud Bacon, Ei, Würstchen, Tomate und Pommes auf seine Gabel.
»Sie sind ja so still geworden, Admiral«, sagte Mercy, die Angst hatte, dass ihr Hinweis auf seine Spitzeltätigkeit ihn verärgert hatte.
»Ich esse«, sagte Nelson und spülte seinen letzten Bissen mit einem Schluck von seinem süßen Tee herunter. »Wissen Sie, warum ich gerne hierherkomme?«
Mercy sackte innerlich ein Stück in sich zusammen. Weitere Streicheleinheiten waren vonnöten. »Sehen Sie es als Vorspiel«, hatte man ihr in dem Fortbildungsseminar der Met erklärt, aber das war in Nelsons Fall einfach zu eklig.
»Es ist ein netter Laden«, sagte Mercy und blickte sich um. »Ich gehe manchmal ins Winning Post in Streatham. Irgendwann lade ich Sie mal dahin ein.«
»Was mir an diesem Laden gefällt, Mercy, ist, dass Nev, der Besitzer, nie irgendwas verändert.«
»Nicht mal das Damenklo?«
»Und da draußen«, fuhr Nelson fort, ohne sie zu beachten, und wies über ihre Schulter auf den Verkehr, der durch die graue Bethnal Green Road donnerte, »verändert sich dauernd alles.«
»Inwiefern?«
»Wir werden von den B.s an den Rand gedrängt.«
»Den B.s?«
»Banker, Broker und Bengalis«, sagte Nelson. »Es sind nicht mehr viele von uns übrig.«
»Zu welchem Stamm
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