Stirb leise, mein Engel
einmal, was sie fühlen sollte, so überrascht war sie.
»Sascha hat mir nichts davon erzählt. Echt nicht. Und es hat wirklich nichts mit mir zu tun. Ob du’s glaubst oder nicht: Zwischen Sascha und mir läuft nichts.«
»Für wie blöd hältst du mich! Er steht total auf dich. Man muss nur sehen, wie er dich gezeichnet hat.«
Schon wieder eine Überraschung. »Er hat mich gezeichnet? Das wusste ich nicht.«
»Dann weißt du es jetzt.«
Joy fühlte, wie das Blut heiß in ihre Wangen stieg, als sie das hörte. Und doch war sie nun, da Mareike es wie etwas Offensichtliches aussprach, kaum überrascht. Hatte sie nicht von Anfang an gespürt, dass Sascha mehr in ihr sah als nur eine gute Freundin? Sie hatte es einfach ignoriert. Die Zeit war für sie beide noch nicht reif gewesen. War sie es jetzt?
»Hör endlich auf zu lügen«, riss Mareike sie aus ihren Gedanken, »und sag mir, was du bei mir zu Hause wolltest? Warum schnüffelst du mir nach? Und wie bist du überhaupt an die Adresse gekommen?«
In diesem Moment kam der Kellner mit Joys Getränken. Sie nahm sofort einen Schluck Wasser, dann gab sie zu: »Okay, ich war deinetwegen da. Ich dachte, zwischen dir und Sascha bahnt sich was an, und weil mir viel an ihm liegt, wollte ich einfach rauskriegen, mit wem er sich da einlässt. Die Adresse hatte ich aus dieser Galerie, in der du mit Sascha warst. Er hat mir davon erzählt.«
»Verstehe. Und was hast du ihm über mich erzählt?«
»Gar nichts. Ich weiß doch überhaupt nichts über dich. Er wäre wahrscheinlich genauso sauer wie du, wenn er wüsste, dass ich … Du sagst ihm doch nichts davon, oder?«
Mareike schüttelte den Kopf.
»Es tut mir leid. Ich hätte dir nicht nachspionieren dürfen. Das war nicht okay. Verzeihst du mir?«
Nach ein paar Momenten Stille sagte Mareike: »Sascha hat mir ja ein bisschen was über dich erzählt. Ich dachte, du bist eine von den üblichen Tussis, auf die Jungs eben stehen. Und als ich dich gesehen hab, war für mich eh alles klar. Aber jetzt, wenn ich mich so mit dir unterhalte, finde ich dich eigentlich ganz nett. Wir könnten sogar Freundinnen werden.«
Joy schlug die Augen nieder. Mareike schien ganz dringend Anschluss zu suchen, sonst hätte sie sicher auch gemerkt, dass die Chemie zwischen ihnen beiden nicht stimmte. Um sie nicht vor den Kopf zu stoßen, antwortete sie, wenn auch mit Verzögerung: »Klar können wir Freundinnen werden.«
Mareike lächelte, aber es wirkte bemüht. »Weißt du, ich hab nicht besonders viele Freunde. Eigentlich keinen einzigen, wenn ich ehrlich bin.«
Willkommen im Klub, dachte Joy, schwieg aber lieber und senkte den Blick in ihre Tasse.
»Meine Eltern wollten nie, dass ich andere Leute treffe. Dass mich jemand bei uns zu Hause besuchen könnte, wäre für sie die reinste Horrorvorstellung. Sie haben selbst keine Freunde und denken, so was braucht man nicht. Geld zu haben und von allen hofiert zu werden genügt ihnen völlig. Aber das kann doch nicht alles sein, oder?«
Joy dachte an die Mauern und Kameras vor Mareikes Zuhause. Was für ein trauriges, einsames Leben führte Mareike nur.
»Ich würde dir gerne etwas zeigen, Joy.«
»Klar. Warum nicht?«
Auf Mareikes Gesicht trat ein Lächeln. »Super. Keine Sorge, ich hab einen zweiten Helm dabei.«
»Einen zweiten Helm?«
»Nur wegen der Bullen. Wir sind gleich wieder da.«
Joy fühlte sich überrumpelt. »Äh … Wo fahren wir denn hin?«
»Lass dich überraschen.«
DIE FAHRT ENDETE vor einem eingezäunten Grundstück am Stadtrand. Joy wusste nicht, wie lange sie unterwegs gewesen waren, aber unter
nicht weit
verstand sie definitiv etwas anderes. Hinter dem Bauzaun ragte hohes Gestrüpp auf, an einem Tor hing ein rostiges Schild mit der Warnung:
Privatbesitz! Zutritt verboten!
Während Mareike das Tor aufschloss, fragte Joy: »Wo sind wir hier eigentlich?«
»Das siehst du gleich.«
Das Tor knarrte erbärmlich in den Angeln, als sie es so weit aufdrückte, dass sie mit dem Motorroller hindurchkam, und danach wieder hinter ihnen zuschob.
Mareike stellte den Roller auf den Ständer und ging voraus.
»Komm!«
Joy fühlte sich unwohl. Außer ihnen war hier weit und breit niemand. Und was sollte die Geheimniskrämerei?
»Jetzt sag schon: Wo sind wir hier?«
Mareike tat so, als hätte sie es nicht gehört.
Der Weg, den sie nahmen, war wohl einmal eine Zu-oder Auffahrt gewesen. Jetzt ließ er sich als solche kaum noch erkennen, denn er war hoffnungslos
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