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Stirb leise, mein Engel

Stirb leise, mein Engel

Titel: Stirb leise, mein Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Götz
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ausholende Schwimmbewegungen. »Komm rein, Tristan!«, ruft sie. »Das Wasser ist herrlich. Total erfrischend! Flüssiger Himmel!«
    Sie sieht hübsch aus, das muss ich zugeben, mit ihren blonden Locken und den großen blauen Augen. Aber das ist alles nur schöner Schein. Sie ist genauso eine Schlampe wie all die anderen. Ich muss an Sarah denken, wie sie dalag – regungslos, tot. Ich stelle mir vor, wie Alina aussehen wird. Ja, erst wenn ich sie so vor mir habe, wird sie mir wirklich gefallen.
    »Jetzt komm schon, Tristan!«
    »Bin gleich bei dir, mein Engel.«
    Ich lasse mich auf den Rand der Grube nieder. Alina kommt zu mir. Sie stützt ihr Kinn auf meine Knie und sieht mich von unten an. Dann nimmt sie meine Hände und zieht an ihnen. Langsam rutsche ich über die Kante.
    »Lassen wir uns ein bisschen treiben.«
    Sie legt sich hin, und ich lege mich neben sie. Wir schauen in die Wolken, die über den Himmel wandern, und schweigen. Irgendwann nimmt sie meine Hand.
    »Ist das nicht schön so, Tristan?«
    »Total schön.« Ich halte die Luft an. »Jetzt sterben, zusammen mit dir – das wäre für mich das perfekte Glück.«
    Sie lässt meine Hand los, stützt sich auf einen Ellbogen und sieht mich an. »Sterben? Wie kommst du denn jetzt darauf?«
    »Was du dir vorhin ausgemalt hast … Couch und Fernseher und Kinder und so – das ist bloß in der Vorstellung schön. In Wirklichkeit … Schau dich doch um, wie die Leute leben. Total öde. Deine Eltern, zum Beispiel. Du sagst doch selbst, dass du nie so leben willst.«
    »Aber du kannst die doch nicht mit uns vergleichen, Tristan!«
    »Warum nicht? Glaubst du, die haben sich nicht geliebt, am Anfang? Und was ist daraus geworden?«
    »So muss es bei uns doch nicht sein. Unsere Liebe ist doch … ganz anders.«
    »Woher willst du das wissen? Wie kannst du dir sicher sein, dass wir uns nicht eines Tages genauso hassen wie alle anderen? Oder, noch schlimmer, dass einer dem anderen egal ist?«
    Mit offenem Mund sieht sie mich an. Ich schenke ihr nicht den Anflug eines Lächelns, keinen Hauch von Freundlichkeit. Mein Gesicht soll ein Abbild der Kälte und Härte und Lieblosigkeit des Lebens sein.
    »Ich werde dich immer lieben«, sagt sie schließlich.
    »Wirst du nicht.«
    »Doch! Bestimmt! Ich schwöre!«
    Unglaublich! Sogar schwören will sie, die Schlampe. Hat sie bei ihm auch geschworen? Und bei wie vielen noch? Wenn auch nur einer dieser Schwüre gestimmt hat, wie kannst du dann hier bei mir sein?
    »Da hilft kein Schwur.«
    »Und was hilft dann?«, fragt sie bang.
    Schweigend sieht sie mich an. Kaut an ihrer Unterlippe. Ihre goldblonden Locken sehen jetzt aus wie Schwefel. Dann legt sie ihren Kopf an meine Schulter. Obwohl sie eigentlich kaum was wiegt, kommt es mir vor, als wäre ich unter einem toten Pferd begraben. Trotzdem nehme ich auch noch ihre Hand und lege sie auf meinen Bauch.
    »Irgendwo hab ich mal einen klugen Spruch gelesen«, sage ich. »Manchmal muss man etwas loslassen, wenn man es festhalten will.«
    »Versteh ich nicht. Was soll das heißen?«
    Wie sie mich wieder ansieht. Hat sie ihn so rumgekriegt? Ich zwinge mich, ruhig zu bleiben, und erkläre: »Dass es Dinge gibt, die man nicht gleichzeitig haben kann, zumindest nicht auf Dauer. Die echte Liebe zum Beispiel und das Leben.«
    »Du machst mich traurig, Tristan.«
    »Nein. Ich mach dich glücklich. Bis in alle Ewigkeit. Vertrau mir.«

4
    DAS ROTE CABRIO holperte über das mit Teerflicken ausgebesserte Kopfsteinpflaster. Sonntäglicher Friede überall; pulsierendes Leben, aber ohne Hektik. Die Geschäfte waren geschlossen, dafür herrschte in den Cafés, Eisdielen und Biergärten Hochbetrieb. Die Leute in leichten, kurzen Klamotten, mit Eiswaffeln und -bechern in der Hand, endlich mal nicht von A nach B hetzend. Sommer in der Stadt. Joy liebte das. Diese sinnenfrohe Atmosphäre. Den süßen Duft, wenn man vom See kam, eine Mischung aus Sonnenmilch, Wasser, Gras und Erde. Sie streckte ihre Arme hoch, ließ den Fahrtwind durch die gespreizten Finger streichen. Er schien nach ihr zu greifen, als wolle er sie zum Tanzen auffordern.
    »War doch schön, unser kleines Picknick am See, oder?«
    Joy sah in zwei schwarze Sonnenbrillengläser, in denen sie ihr eigenes Spiegelbild erblickte. »Echt super.«
    Alfi setzte den Blinker und zog auf die Linksabbiegerspur. Die Ampel schaltete auf Gelb, dann auf Rot, er hielt an. Kaum standen die Räder still, schob er schon seine Sonnenbrille ins Haar und

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