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Stirb leise, mein Engel

Stirb leise, mein Engel

Titel: Stirb leise, mein Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Götz
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es keinen Sinn hatte, an einem Typen zu hängen, der so alt war wie ihr Vater. Und spätestens dann schlug bei ihr seine Stunde. Oder? Es konnte was daraus werden, vielleicht sogar hundert Prozent, irgendwann. Warum nicht? Und danach würde es auch mit Joy leichter werden, keine geheimen Gefühle und Wünsche mehr, sie würden nur noch Freunde sein, und alles wäre gut.
    Seine Mutter kam gegen zwölf. Er hörte sie durch den Flur gehen, in die Küche, ins Bad. Sie hatte eine verdächtig gute Laune, summte leise vor sich hin. Gar nicht so, als hätte sie bis eben staubtrockene Berichte geschrieben.
    Er hielt es nicht mehr aus im Bett. Als er in den Flur trat, ging im Wohnzimmer die Stereoanlage an. Irgendeine Schmusemusik aus den Siebzigern oder so. Die Tür war halb offen. Seine Mutter saß auf der Couch, hatte die Beine auf die Armlehne des Sessels gelegt und ein Glas Rotwein in der einen Hand. In der anderen hielt sie etwas, das an einer Halskette hing: ihren Ehering, wie er erkannte.
    Gerade als er sich zurückziehen wollte, wandte sie den Kopf und sah ihn an. Der Ring glitt aus ihrer Hand und hing vor ihrer Brust. »Mein Gott«, sagte sie nach ein paar Schrecksekunden, »im ersten Moment dachte ich … Du wirst ihm immer ähnlicher. Es bricht mir das Herz, wenn ich dich ansehe. – Komm, setz dich kurz zu mir. Schluck Wein?«
    Obwohl er seit seinem sechzehnten Geburtstag offiziell Alkohol trinken durfte, hatte sie ihm noch nie Wein oder so was angeboten. Er schüttelte den Kopf und setzte sich neben sie.
    »Die Musik, kennst du die? Nein? Bryan Ferry mit Roxy Music. Toller Mann. Tolle Musik. Das hier kennst du bestimmt.« Sie drückte auf der Fernbedienung herum, ein neuer Song begann. »
Oh Yeah
. So heißt das Lied.«
    »Hab ich schon mal gehört.«
    Etwas irritierte ihn. Sie roch nicht so, wie sie nach einem langen Arbeitstag riechen sollte. Er wandte ihr den Kopf zu und sog prüfend Luft ein.
    »Ich komme nicht direkt von der Arbeit«, sagte sie sofort. »Ich war noch was trinken. War eine spontane Aktion, ein Kollege von früher hat angerufen, wir haben über alte Zeiten gequatscht.«
    Vielleicht stimmte es, vielleicht auch nicht. Er hatte keine Lust, mit ihr darüber zu streiten, deshalb sagte er nur: »Schon okay, Mama.«
    Sie nahm den Ring zwischen die Finger.
    »Du siehst, ich hab den Ring nicht abgelegt, Sascha. Ich trage ihn nur anders. Weil es jetzt anders ist. Verstehst du das?«
    »Keine Ahnung. Kann sein.«
    »Ich wollte dir nichts vormachen. Oder dich belügen. Ich will dich bloß nicht … verletzen. Es ist auch so schon alles schwer genug für dich.«
    Ihre Sorge war echt, er spürte es. »Ich komm klar, Mama. Mach dir keine Sorgen. Außerdem hab ich ja Dr. Androsch.«
    »Das stimmt.« Sie legte den Arm um seine Schultern. Er fragte sich, ob sie traurig war oder glücklich oder beides zusammen. Nachdem sie eine Weile schweigend dagesessen hatten, sagte sie: »Darf ich dich was fragen?«
    »Klar.«
    »Du musst mir nicht antworten, wenn es dir peinlich ist.«
    »Sag schon.«
    »Täusche ich mich, oder bist du ein bisschen in Joy verliebt?«
    Er senkte den Kopf, schaute auf seine Knie. »Da läuft nichts.«
    »Was nicht genau meine Frage war. Aber gut, ich will dich nicht in Verlegenheit bringen. Es ist eh längst Zeit fürs Bett, und zwar für uns beide.«
    Sie nahm ihren Arm von ihm, und er stand auf. Es gefiel ihm nicht, dass sie um seine Gefühle für Joy wusste. Anscheinend war sie eine ziemlich gute Polizistin. Oder war es so offensichtlich?

[zurück]
     
    ICH WARTE. AB und zu schaue ich zu dem Mädchen und dem hübschen Jungen mit den dunklen Locken hinüber, die unter den ausladenden Ästen einer Linde im Gras sitzen und anscheinend Hausaufgaben machen. Obwohl ich wegen ihr hier bin, muss ich dauernd ihn ansehen. Manchmal berührt er sie, aber sie zeigt nur schwache Reaktionen. Lange hält er das nicht mehr aus. Er ist in sie verliebt, aber sie nicht in ihn. Sie mag ihn nur als Kumpel. Ich weiß genau, was in ihm vorgeht. Und in ihr. Sie macht ihm Hoffnungen, weil sie nicht alleine sein will. Wenn sie alleine ist, öffnet sich der Abgrund in ihr. Aber keine Angst, du wirst nicht länger alleine sein. Und du, hübscher Junge, wirst jemanden finden, der deine Liebe wert ist.
    Frustriert packt er seine Sachen und steht auf. Er will schon gehen, da springt sie hoch, schlingt ihre Arme um seinen Hals und küsst ihn. Nicht auf den Mund, sondern auf die Wange. Dann lässt sie ihn gleich wieder

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