Stirb leise, mein Engel
war es ihm eher peinlich. Verlegen schob er die Hände in die Hosentaschen und umklammerte die Fetzen aus Natalies Papierkorb.
»Echt cool«, wiederholte Mareike in sein Schweigen hinein. »Vor allem, wenn man bedenkt, dass zwischen euch nichts gelaufen ist.«
Er spürte, wie er rot wurde. Wieso musste sie das sagen? Und war da nicht ein spöttischer Unterton gewesen?
»Sorry, das kam jetzt falsch rüber … Ich finde es wirklich toll. Normalerweise verdünnisieren sich Jungs, wenn nichts läuft. Weil sie sich nicht wirklich für das Mädchen interessieren, sondern nur für das, was sie mit ihr machen könnten. Du bist echt eine totale Ausnahme. Fetter Pluspunkt.« Sie lächelte.
Gerade noch mal die Kurve gekriegt, dachte er und sagte: »Schon okay, aber …« Er schaute sich nach der Bedienung um. »Ich muss dann auch langsam los.«
»Jetzt schon?«
»Na ja, morgen ist Schule, und ich hab noch einiges zu tun.«
»Verstehe.«
Er zog die Hände wieder aus den Hosentaschen und griff nach seiner Geldbörse, doch Mareike sagte: »Lass stecken, ich mach das.«
»Eigentlich wollte ich dich einladen.«
»Beim nächsten Mal.«
Sie schnippte der Bedienung zu. Dann holte sie die Geldbörse aus ihrer Tasche und zog eine Kreditkarte heraus.
»Hast du die deinem Daddy geklaut?«, scherzte Sascha.
»Nee, das ist meine eigene. Hab ich zum letzten Geburtstag von ihm gekriegt.«
Wenig später verließen sie das Lokal. Es hatte angefangen zu nieseln. Tausende kleiner Tropfen glitzerten an den Scheiben des
Rocky
. Mareike blieb im Schutz des Gebäudes stehen und zündete sich eine Zigarette an. »Sehen wir uns wieder?«
»Klar«, sagte er, »warum nicht? Ich ruf dich an. Das heißt: wenn du mir deine Nummer gibst.«
Sie schüttelte den Kopf. »Sorry. Erst wenn ich dich besser kenne. Ich hatte bis vor Kurzem einen Stalker am Hals, und das will ich nicht noch mal erleben. Ich ruf dich an.«
Er schob die Hand in die Hosentasche, umschloss den Papierknäuel darin. »Ich muss dann wirklich langsam«, drängelte er. »Mach’s gut.«
»Du auch.«
Als er sich abwandte, um zur U-Bahn zu gehen, bemerkte er, wie sich jemand in einer olivfarbenen Regenjacke abrupt wegdrehte und mit eiligen Schritten entfernte. Hatte der Typ ihn und Mareike beobachtet? War das etwa der Stalker, von dem sie erzählt hatte? Und war sie nicht auch zu der Seite hin verschwunden, als sie angeblich zum Rauchen ins Freie gegangen war? Aber dann sagte er sich, dass es wahrscheinlich gar nichts zu bedeuten hatte.
17
WIEDER ZU HAUSE, checkte Sascha wie üblich als Erstes seine E-Mails. Eine stammte von Joy und enthielt einen Link. Während er noch schmunzelte, weil sie ihn mit
Sherlock
anredete und sich selbst
Watson
nannte, klickte er auf den Link und startete wenig später ein Video, das den vielversprechenden Titel trug:
Wie man Zyankali herstellt
. Gespannt verfolgte er die einzelnen Schritte, die durch knappe Kommentare erklärt wurden. Wenn das Ding kein Fake war, brauchte man nicht viele Zutaten, und man musste auch kein Chemie-Crack sein.
Er rief Joy auf dem Handy an. »Bist du zu Hause?«
»Yep. Und du?«
»Eben gekommen. Hab gerade das Video gesehen.«
»Hammer, oder? Das kriegt jeder hin, sogar ich, mit etwas Übung.«
»Was machst du heute noch?«
»Nichts. Wir könnten Natalies Brief zusammenpuzzeln.« Rasch fügte sie hinzu: »Oder willst du das lieber alleine machen?«
Er überlegte. »Eigentlich schon. Ich melde mich später noch mal.«
»Komm einfach rüber, wenn dir danach ist, ich bin lange auf. Meine Mutter ist
tanzen
.« Sie betonte es auf eine Weise, die keinen Zweifel ließ, dass sie nicht das Tanzen für den Zweck des Abends hielt. »Das wird bestimmt spät bei ihr.«
»Okay. Bis dann.«
Sascha legte das Handy weg und räumte den Schreibtisch leer. Vorsichtig wie ein rohes Ei holte er den Papierknäuel aus seiner Hosentasche und gab dabei acht, dass auch nicht das kleinste Fitzelchen zu Boden fiel. Natalie hatte das Blatt regelrecht in Konfetti verwandelt. Das sah nach verdammt viel Arbeit aus.
ES WAR SCHON halb zwölf, als Sascha bei Joy klingelte. Anscheinend rechnete sie nicht mehr mit ihm, denn es regte sich lange nichts. Ob sie schon schlief? Er hätte besser vorher anrufen sollen. Dann dachte er: Vielleicht ganz gut, dass sie nicht mehr aufmacht. Er war noch ziemlich aufgewühlt wegen Natalies Brief, und außerdem würde sie ihn bestimmt nach seinem Treffen mit Mareike fragen. Gerade als er aufgeben wollte,
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