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Stirb leise, mein Engel

Stirb leise, mein Engel

Titel: Stirb leise, mein Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Götz
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lieber zusammengepuzzelt hätte, als hier zu sitzen.
    »Eigentlich hab ich nicht viel Zeit«, sagte er.
    »Auf ein Getränk wirst du ja wohl bleiben. Was gab’s denn noch so Wichtiges zu erledigen?«
    »Zu erledigen? Was meinst du?«
    »Na, weil du nicht gleich kommen konntest.«
    »Ach so. Nichts Besonderes. Ich war bei Natalies Mutter.« Er zog die Hand aus der Hosentasche und nahm die Getränkekarte. Je schneller er das Treffen hinter sich brachte, desto schneller konnte er sich Natalies Brief widmen. »Was ist das, was du da trinkst?«
    »Exotic Dream. Fruchtsäfte mit einem Schuss weißem Rum. Einen zweiten darf ich allerdings nicht trinken, sonst wird’s gefährlich.«
    »Gefährlich?«
    »Ja, und zwar für alle Beteiligten.« Sie grinste und zwinkerte ihm zu.
    War das ein Flirtversuch? Leicht verunsichert, schaute er sofort wieder in die Karte.
    »Was wolltest du bei Natalies Mutter?«
    »Nur mal sehen, wie es ihr geht. Ist ja alles ziemlich heftig für sie. Und ich glaube, sie hat niemanden.« Er überlegte kurz, ob er ihr erzählen sollte, dass er Tristan finden wollte, sagte dann aber lieber nichts. Am Ende wollte sie bei der Suche noch mitmachen, und das hätte ihm nicht gepasst. Sie war ja praktisch eine Fremde, und außerdem war das ein Ding zwischen ihm und Joy.
    Die Bedienung kam an den Tisch und räumte die benutzten Gläser auf ein Tablett. Sascha klappte die Karte zu und bestellte einen kleinen Kirschsaft. Verstohlen schaute er auf die Uhr. Eine halbe Stunde, nicht länger.
    »Wie geht es Natalies Mutter denn?«, fragte Mareike.
    »Sie versucht, sich nicht hängen zu lassen, aber … Na ja …«
    »Verstehe. Die Arme.«
    Sie schwiegen für eine Weile. In Gedanken war Sascha wieder in Natalies Zimmer, sah den Fetzen zwischen seinen Fingern:
Hi Sasch
… Er riss sich davon los.
    »Und was hast du den ganzen Tag so gemacht?«, fragte er.
    Mareike zuckte die Achseln. »Rumgehangen. Gelesen.«
    »Ach. Und was?«
    »Sartre.
Der Ekel
. Ist ein Roman.«
    Er erinnerte sich dunkel, dass der Name Sartre mal auf einer Referatsliste in Religion gestanden hatte. Woran er sich aber nicht erinnern konnte, war, dass irgendjemand schon mal Sachen, die auf einer Referatsliste auftauchten, freiwillig gelesen hätte.
    »Sartre sagt mir was.« Scherzhaft fügte er hinzu: »Sag Bescheid, wenn’s als Graphic Novel rauskommt, dann zieh ich’s mir auch rein.«
    Sie überging seinen Witz und sagte bierernst: »Es handelt von einem Mann, dem klar wird, dass das Leben total sinnlos ist. Aber gerade das macht ihn frei.«
    »Weiß nicht. Klingt eher deprimierend, oder?«
    »Warum? Lügen bleiben Lügen, auch wenn sie einen trösten. Das sind sowieso die schlimmsten Lügen von allen. Schau dir Natalie an. Die hat sich selbst was vorgemacht, bis es nicht mehr ging.«
    »Wieso? Was hat sie sich vorgemacht?«
    Statt zu antworten, schaute Mareike durch die Glasfront nach draußen, so als hätte sie dort etwas entdeckt, das ihre ganze Aufmerksamkeit erforderte. Sascha wollte ihrem Blick schon folgen, doch in diesem Moment sprach ihn von hinten die Bedienung an. »Du hattest den Kirschsaft, oder?« Er nickte, und sie stellte das Glas vor ihm ab. Als sie wieder weg war, griff Mareike in ihre Handtasche und holte ihr Zigarettenetui und das Feuerzeug heraus.
    »Scheiß Rauchverbot«, sagte sie. »Schlimm, wenn ich kurz verschwinde?«
    »Nein, kein Problem.«
    Während er an seinem Kirschsaft schlürfte, beobachtete er, wie sie sich durch die Tische zum Ausgang bewegte. Er kannte kein Mädchen, das so lief wie sie. Fast schon wie ein Filmstar über den roten Teppich. Die Männer, an denen sie vorbeikam, drehten sich alle nach ihr um. Dabei war sie nicht einmal wirklich hübsch. Sascha hatte erwartet, dass sie sich an den Raucherstehtisch neben dem Eingang stellen würde, doch sie lief daran vorbei und zielstrebig weiter, bis sie aus dem Blickfeld verschwand, fast so, als ginge sie auf jemanden zu, der nicht gesehen werden wollte.
     
    ES KLOPFTE. JOY rollte mit den Augen. Was wollte sie jetzt wieder? Schon flog die Tür auf, und ihre Mutter stand vor ihrem Bett, in einem knielangen Rock und einer Bluse, an der man ruhig noch einen Knopf hätte schließen können. In jeder Hand hielt sie ein Paar Schuhe. »Die Flachen oder die Hochhackigen?«
    »Sehen beide scheiße aus«, sagte Joy nach einem flüchtigen Blick über das Display ihres Laptops hinweg.
    »Du bist wirklich eine große Hilfe. Wieso bist du heute Abend eigentlich so zickig?

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