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Stirb leise, mein Engel

Stirb leise, mein Engel

Titel: Stirb leise, mein Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Götz
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Schließlich sagte er: »Okay, aber reingehen können wir nicht. Meine Eltern ertragen keine Fremden im Haus. Warte, ich hol mir eine Jacke.«
    Eine Minute später kam er zurück.
    »Nichts wie weg hier. Ich bin übrigens Bruno. Alinas Bruder. Und du? Eine Freundin von Alina kannst du nicht sein. Alina hatte, soviel ich weiß, keine Freundinnen.«
    Joy wartete mit der Antwort, bis sie auf der Straße waren. Dann gestand sie: »Um ehrlich zu sein: Ich kannte Alina überhaupt nicht.«
    Bruno sah sie erstaunt an. »Und was willst du dann? Du weißt hoffentlich, dass sie nicht mehr lebt.«
    Joy nickte. »Ich bin eigentlich einem Freund zuliebe hier. Es gab in letzter Zeit mehrere Selbstmorde mit Zyankali und auch einen Mord, davon hast du vielleicht in der Zeitung gelesen.«
    Er schüttelte den Kopf. »Wir lesen schon lange keine Zeitungen mehr.«
    »Na, jedenfalls denkt dieser Freund, dass das alles zusammenhängen könnte.«
    »Ach, jetzt verstehe ich auch, warum gestern die Polizei noch mal da war und Alinas Laptop und Handy mitgenommen hat. Ich war selbst gerade nicht da, meine Eltern haben ihnen aufgemacht.«
    »Weißt du zufällig, ob deine Schwester vor ihrem Tod mit einem Jungen zusammen war? Einem, der Tristan heißt?«
    »Möglich wär’s natürlich«, sagte Bruno nach kurzem Überlegen, »aber ich weiß nichts darüber. Alina hat immer wie in einer Seifenblase gelebt. Schon als sie noch ganz klein war. Feen, Einhörner, Zauberer – das war noch ihre Welt, als andere Mädchen sich schon längst für Kleidung und Schminktipps interessierten. Sie wollte vom wirklichen Leben nichts wissen. Je weniger der Rückzug in ihre Traumwelt funktionierte, desto depressiver wurde sie. Anforderungen brauchte man an sie nicht zu stellen, da ist sie sofort zusammengeklappt. Hat sich verweigert. Oder wurde krank. Sie war zu gut für diese Welt. Oder vielleicht auch nur zu schwach.« Er schwieg, sein Blick ging ins Leere. »Ich hab mich oft über sie geärgert. Aber ich hab sie geliebt, meine kleine Schwester. Und ich wünschte, ich hätte ihr das auch mal gesagt.« Seine Augen wurden feucht.
    Joy legte die Hand auf seinen Arm. »Ich glaub, sie hat es auch so gewusst.«
    »Meinst du?«
    »Bestimmt. Wenn sogar eine Fremde wie ich es spüren kann.«
    Er wischte sich mit einer hastigen Bewegung über die Augen. »Und ihr denkt, dass dieser – Wie heißt er noch mal?«
    »Tristan.«
    »Dass dieser Tristan mitschuldig an Alinas Tod ist?«
    »Nee, so weit sind wir noch lange nicht. Ehrlich gesagt, stochern wir nur im Nebel. Vielleicht ist es auch eine total falsche Fährte.«
    Bruno rieb sich das stoppelige Kinn. »In ihrem Abschiedsbrief stand nichts von einem Tristan oder überhaupt einem Jungen. Wenn es jemanden gab, dann müsste das aber in ihrem Tagebuch stehen.«
    Joy horchte auf. »Es gibt ein Tagebuch? Das ist ja super! Könntest du vielleicht nachschauen, was sie so geschrieben hat in der Zeit vor ihrem Tod?«
    Er zögerte. »Ich weiß nicht. Auch wenn sie nicht mehr lebt … Wir haben bis jetzt noch keinen Blick reingeworfen. Irgendwie hatten wir das Gefühl, wir hätten kein Recht dazu.«
    »Das verstehe ich gut.«
    »Was ich nicht kapiere: Wieso überlasst ihr das alles nicht der Polizei? Das ist doch deren Job.«
    »Schon. Aber mein Freund meint, die sehen den Zusammenhang nicht richtig. Ich glaube aber, dass da noch etwas anderes ist, das ihn antreibt.«
    »Ach ja? Was denn?«
    »Natalie hat ihm viel bedeutet. Und jetzt ist sie tot. Und vor gut einem Jahr ist sein Vater umgekommen. Wenn er was tut, ist es für ihn leichter, mit alldem klarzukommen.«
    Bruno nickte. Anscheinend verstand er genau, was sie meinte.
    »Hilfst du uns?«
    »Ich denke darüber nach und frage meine Eltern. Wie kann ich dich erreichen?« Joy diktierte ihm ihre Handynummer, er tippte sie als neuen Kontakt in sein Smartphone. Dann sagte er: »Und wenn ich mal Lust habe, mit jemandem zu quatschen, ich meine jetzt nicht wegen meiner Schwester, sondern einfach so, bei einem Kaffee oder einem Drink, darf ich dann auch anrufen?«
    Joy lächelte. »Würde mich freuen.«
     
    SASCHA SOLLTE EIGENTLICH Hausaufgaben machen, aber er konnte sich nicht konzentrieren. Zu vieles spukte in seinem Kopf herum: Natalies Brief, das Treffen mit Mareike, Tristan – und dazwischen und vor allem Joy. Eine Weile klappte die Wir-sind-nur-Freunde-Nummer ganz gut, aber dann fuhren seine Gefühle plötzlich wieder Achterbahn. Würde dieses Auf und Ab bis in alle Ewigkeit so

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