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Stirb leise, mein Engel

Stirb leise, mein Engel

Titel: Stirb leise, mein Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Götz
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schlurfenden Schritte. Schließlich: Stille.
    Eine gefühlte Ewigkeit hielt Sascha danach noch die Luft an, bis er sich endlich in die Dunkelheit hinein zu fragen wagte: »Was war das denn?«
    »Keine Ahnung«, kam Mareikes Stimme aus dem Wohnzimmer. »Vielleicht hat sich ein besoffener Nachbar in der Tür geirrt.«
    Erst jetzt atmete Sascha durch. »Wir sollten uns vom Acker machen«, sagte er.
    Aus dem Wohnzimmer fiel Licht ins Bad. Mareike hatte die Stehlampe wieder eingeschaltet.
    »Finde ich auch«, antwortete sie.
    Er verließ das Bad. Da bemerkte er etwas im Augenwinkel. Er sprang zurück, ein halb erstickter Schrei entfuhr ihm.
    Jemand stand an der Wohnungstür und sah ihn aus dem Halbdunkel an.
    Eine Gestalt in einer olivgrünen Regenjacke.
    Wie konnten sie sich so getäuscht haben! Kein Nachbar, der nebenan verschwunden war. Tristan!
    Doch wieso rührte er sich nicht? Wieso stand er einfach nur da?
    Er schaute genau hin – und atmete auf.
    Kein Tristan. Auch sonst niemand. Nur eine Regenjacke an einem Kleiderhaken. Mit einem langen Riss.
    Aber diese Jacke hatte er schon einmal irgendwo gesehen. Und ihm dämmerte auch sofort, wo.
    Als er damit ins Wohnzimmer trat, fand er Mareike an Tristans Laptop.
    »Schau mal«, sagte er und hielt die Jacke hoch.
    Sie wandte sich um, beachtete seinen Fund jedoch gar nicht, sondern fragte sofort: »Wo sind deine Handschuhe?«
    »Oh. Hab ich wohl im Bad vergessen. So eine Jacke wie die hab ich schon mal gesehen. Nach unserem ersten Treffen im
Rocky
. Da hat sich ein Typ in so einem Ding davongemacht. Damals dachte ich mir nichts, aber jetzt … Vielleicht war das Tristan. Vielleicht hat er uns auf dem Kieker.« Was für eine Vorstellung: Während er Tristan gesucht hatte, hatte der ihn längst gefunden.
    »Scheiße … Lass uns endlich abhauen, wir sind schon viel zu lange hier.«
    Sascha kehrte ins Bad zurück, um seine Handschuhe zu holen. Als er schon wieder verschwinden wollte, stieß sein Fuß gegen eine Schachtel unter dem Waschbecken. Das Klirren von Glas ließ ihn innehalten. Moment mal, dachte er, wenn das nicht … Er streifte die Handschuhe über, öffnete die Schachtel und fand, wie vermutet, eine Ansammlung von Reagenz-und anderen Gläsern, Spateln, einen Bunsenbrenner. Außerdem Dosen und Flaschen mit Chemikalien. Auf dem Etikett eines Behälters las er:
Rotes Blutlaugensalz (Kaliumhexacyanoferrat- III )
; auf einem weiteren:
Pottasche
; auf einer Flasche stand:
Schwefelsäure
. Waren diese Namen nicht auch in dem Videoclip über die Herstellung von Zyankali gefallen?
    »Ich bin eben auf Tristans Giftküche gestoßen«, rief er ins Wohnzimmer.
    »Ich hab hier auch noch was«, kam es zurück.
    »Echt? Bin gleich da.« Er stellte alles wieder zurück, verschloss die Schachtel und schob sie an ihren alten Platz.
    Als er ins Wohnzimmer kam, stand Mareike wie zuvor an Tristans Laptop. »Was hast du?«, fragte er.
    »Das hier.« Sie klickte etwas an. »Hast du den schon mal gesehen?«
    Ein Gesicht erschien auf dem Display. Ein Gesicht, das Sascha sofort erkannte. Und da war sie: die Verbindung zu Androsch.
    »Das ist … Mirko!«
     
    SCHWEIGEND GINGEN SIE die Straße hinab. Der kühle Wind ließ Sascha frösteln. Doch es war nicht nur der Wind. Die Bilder der sterbenden Natalie – sie ließen ihn nicht los. Sie erzeugten Wut und Trauer und Schmerz in ihm. Wie sollte er je wieder ruhig schlafen? Vielleicht, wenn Tristan endlich gefasst war und für alles büßte. Tristan. Der in Wahrheit Mirko hieß. Und Androschs Sohn war.
    Sascha erinnerte sich, wie er auf dem Bürgersteig gestanden hatte, während er im Bus an ihm vorübergefahren war: so zornig und so hilflos und so allein. Und derselbe Typ sollte all diese Mädchen verführt haben, sich das Leben zu nehmen? Wie? Mit welchem Trick? Auch das würde aufgedeckt werden. Fest stand schon jetzt: Nicht nur Laila – die vermutlich Einzige, die seinem Einfluss widerstanden hatte – war ermordet worden, sondern alle! Tristan – Mirko: Er war ein Serienmörder!
    »Tristan ist zwar schuld am Tod der Mädchen«, sagte Mareike in das lastende Schweigen hinein, »aber wenn du mich fragst, geht es eigentlich um seinen Vater. Sonst hätte er nicht genau diese Mädchen ausgewählt. Es war eine Botschaft an ihn.«
    Sascha schüttelte nur fassungslos den Kopf. »Der Typ ist krank.«
    »Manchmal macht einen die Liebe krank. Die unerwiderte.«
    Er schwieg. Konnte ja sein, dass es so war. Aber er hatte jetzt keine Lust, nach

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