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Stirb leise, mein Engel

Stirb leise, mein Engel

Titel: Stirb leise, mein Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Götz
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sich über Klamotten, Pizzaschachteln, überquellende Aschenbecher, CD s und allerlei sonstigen Kram hinweg. Statt Bildern zierten Graffiti die Wände.
    »Licht aus!« Mareike machte ihre Lampe aus, Sascha folgte eine Sekunde danach.
    »Und jetzt?«, fragte er.
    Sie zog etwas aus ihrer Jackentasche. »Hier, anziehen.« Erst als sie sie ihm in die Hand drückte, erkannte er, dass es sich um Einweghandschuhe handelte, wie sie Ärzte oder Pfleger benutzten. »Wegen der Fingerabdrücke.«
    Sie dachte wirklich an alles. Und sie sagte anscheinend auch gerne, wo es langging. Während er noch mit einem mulmigen Gefühl die Handschuhe überzog, begann sie bereits, das Fenster abzutasten.
    »Nichts zu machen«, befand sie. »Sehen wir uns das andere an.«
    Das Fenster nebenan gehörte zur Küche und war etwas kleiner als das andere. Vorsichtig drückte sie gegen die Scheibe. Ein leises Knarren im Rahmen. Sie drückte fester. Es gab nach, allerdings nur oben.
    »Und was machen wir jetzt?«, fragte Sascha.
    »So schnell geben wir nicht auf. Vielleicht komme ich durch den Spalt an den Hebel.«
    Sie zog die Jacke aus und schob die Ärmel ihres Pullis hoch. Es grenzte an Akrobatik, wie sie ihren Arm durch die schmale Öffnung zwängte und immer näher an den Hebel heran, mit dem sich das Fenster umstellen ließ. Sie erreichte ihn und drückte ihn nach unten. Das Fenster rastete unten aus und hing nur noch an einem Scharnier.
    »Cool«, sagte Sascha.
    »Mit solchen Armen ist das ein Klacks.«
    Es stimmte. Sie waren dünn wie Mikado-Stäbchen. Mareike schob die Ärmel runter, schlüpfte in ihre Jacke, knöpfte sie bis oben zu und zog den Gürtel stramm.
    Über eine Spüle hinweg, in der sich schmutziges Geschirr auftürmte, stiegen sie in die Küche. Fauliger Geruch schlug ihnen entgegen. Außerdem roch es stark nach kaltem Rauch. Als sie drinnen waren, hängte Mareike das Fenster wieder ein und schloss es. Sascha machte Licht, und so enthüllte sich ihnen das ganze Ausmaß der Verwahrlosung: Mehrere zum Platzen volle Mülltüten lehnten an der Wand. Auch der Rest der Küche war ziemlich verdreckt.
    »Igitt!«, stieß Mareike aus und rümpfte die Nase. »Voll eklig!«
    Sascha nickte und dachte: Wie kann man nur so leben?
    Die Glühbirne in der Diele war kaputt, doch der Schein aus der Küche genügte ihnen, um über den Flur ins Wohnzimmer zu finden. Mareike knipste eine Stehlampe an. Sascha machte einen kleinen Schritt zurück Richtung Tür. Im Licht schienen die Graffiti regelrecht von den Wänden auf ihn herabzuspringen: Fratzen, Totenköpfe, Monster, umrahmt und durchdrungen von wild wirbelnden Kreisen, Punkten, Zickzacklinien. Eine Horrorshow aus Aggression und Angst. Vielleicht ein Blick in Tristans tief verstörte Seele?
    Mareike stupste ihn an. »Wir müssen uns beeilen. Dass er hier seit Tagen nicht war, muss nicht heißen, dass er nicht jederzeit zurückkommen kann. Außerdem will ich so schnell wie möglich weg aus diesem gruseligen Loch.«
    Sie ging zu einem Tisch, der schier überquoll von Papieren, Zeitungen, Werbeprospekten. »Na, das ist ja interessant«, sagte sie im nächsten Moment und hob eine Zeitungsseite hoch. Ein Bericht war dick mit rotem Textmarker umrahmt. MYSTERIÖSER GIFTMORD , lautete die Schlagzeile, darunter stand: Warum musste Laila sterben?
    »Entweder ein Fan oder …« So wie sie guckte, wusste Mareike selbst, dass das nicht witzig war.
    Sascha nahm sich eine zerschrammte Kommode in der Ecke vor, zog eine Schublade nach der anderen auf. Klamotten. Noch mehr Klamotten. Nur in der untersten nicht. Dort lagen Hefter und Mappen. Als er die erste aufschlug, fiel sie ihm vor Schreck fast aus der Hand. Ein Bild von Natalie! Darüber ihr Name und ein Steckbrief. Er blätterte weiter, fand noch mehr Fotos von ihr, alle mit Ort und Tageszeit beschriftet. Keines sah so aus, als hätte Natalie gewusst, dass sie fotografiert wurde. Dazwischen Eintragungen: 13 . 15 Uhr: Verlässt Schule, allein. … 17 . 30 Uhr: Geht raus, ziellos, allein. Macht halt bei einem Dönerstand. Es waren immer nur einzelne Tage, die so dokumentiert waren, allerdings über viele Monate hinweg.
    »Das musst du dir ansehen, Mareike. Das ist echt der Hammer.«
    Sie kam zu ihm, nahm die Mappe aus seiner Hand und blätterte sie durch. »Krass«, befand sie. »Er hat Natalie überwacht. Das ist eine richtige Akte. Schau mal, du kommst auch drin vor.«
    Eine Gänsehaut kroch über Saschas gesamten Körper. Sie hatte recht. Das Foto zeigte ihn

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