Stirb, mein Prinz
Schmerz fuhr ihm bis hinunter ins Kreuz. Er schnappte nach Luft und schrie auf.
Er blieb liegen. Konnte kein Stück weiter. Legte sich flach auf den Bauch und stöhnte. Sein Atem wirbelte Staub vor seinem Gesicht auf.
Er versuchte, nicht in Panik zu geraten. Vergeblich. Er spürte, wie sie immer höher stieg. Er hasste enge Räume, sogar im Fahrstuhl bekam er Beklemmungen. Was hatte er sich nur dabei gedacht? Warum hatte er sich in eine derartige Lage gebracht?
Weil er einen Schrei gehört hatte, antwortete der rationale Teil seines Gehirns. Er hatte etwas gehört. Den Schmerzensschrei eines Menschen. Oder eines Tiers.
Eines Kindes.
Und nach dem Skelettfund in der Kammer hatte er keine andere Wahl gehabt.
Er stöhnte erneut, hob den Kopf, so weit er konnte, und spähte nach vorn.
Die Taschenlampe, glitschig von seinem Speichel, rutschte ihm aus dem Mund. Im Halbdunkel tastete er nach ihr. Seine Arme waren noch immer halb unter dem Körper festgeklemmt, so dass er sich kaum bewegen konnte. Er fand die Taschenlampe, versuchte, den Staub und Dreck vom Griff abzuwischen, und nahm sie wieder zwischen die Zähne.
Erneut sah er nach vorn. Die Gabelung. Welchen Weg sollte er nehmen?
Er schloss die Augen und horchte. Irgendein Geräusch, ein Schrei …
Er horchte.
Hörte nichts.
Erneut packte ihn die Angst und nagte an ihm. Er wollte aufspringen und sich strecken, sich gegen die Enge auflehnen. Schreien.
Er musste fest auf die Taschenlampe beißen, um sich zu beherrschen. Ein erstickter Schrei entfuhr ihm, es kostete ihn all seine Kraft, ruhig zu bleiben. Nicht um sich zu treten. Es bestand nicht nur die Gefahr, dass er sich verletzte; womöglich würde er den gesamten Tunnel zum Einsturz bringen.
Die Welle der Panik ebbte ab. Er lag ganz still da und atmete tief, ohne auf den Staub zu achten, den er dabei schluckte. Dann kroch er, noch immer angespannt lauschend, weiter auf die Gabelung zu.
Nichts.
Er probierte etwas anderes. Nahm die Taschenlampe aus dem Mund und schaltete sie aus. Lag in absoluter Stille da, in der undurchdringlichen Schwärze.
So war es vielleicht, wenn man tot war. Man lag da, allein, still und kalt, und um einen herum nur die Dunkelheit. Das Nichts.
Nein. Das ist nicht der Tod , dachte er. Das ist bloß Selbstmitleid. Er lebte. Hatte eine Aufgabe zu erledigen. Erneut lauschte er. Wartete darauf, dass sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnten, und starrte angestrengt in die zwei Tunnel vor sich. Aus dem linken drang ein schwacher flackernder Lichtschein. Na also.
Er schaltete die Taschenlampe wieder ein und kroch mit neu erwachter Energie auf den Eingang des linken Tunnels zu.
Dieser war noch schmaler. Noch niedriger. Phil hatte Mühe, überhaupt vorwärtszukommen. Er fragte sich, ob der Tunnel immer enger werden würde, bis er irgendwann darin stecken blieb. Fragte sich, ob das vielleicht der Laut war, den er gehört hatte: ein Kind oder ein Tier, das den unterirdischen Gang hatte erkunden wollen und nun hier unten festsaß, gefangen zwischen Felsen, ohne vor oder zurück zu können. Fragte sich, ob ihm etwa dasselbe Schicksal bevorstand.
Er versuchte, die Gedanken zu verdrängen und sich ganz aufs Weiterkriechen zu konzentrieren.
Kurze Zeit später spürte er einen Lufthauch im Gesicht. Eine schwache Brise wehte ihm entgegen, allerdings nur einen Moment lang. Am anderen Ende des Tunnels musste etwas sein. Das flößte ihm neuen Mut ein, und er versuchte die Schmerzen zu ignorieren, als es um ihn herum unaufhörlich enger wurde, der Fels immer näher rückte. Er kroch schneller, auf die Luft und das flackernde Licht zu.
Er robbte um eine Kurve. Und sah den Ausgang vor sich.
Er war noch schmaler als der Eingang, aber wenn er sich abstieß, würde er sich vielleicht hindurchzwängen können. Es musste gehen. Der Ausgang war erreicht. Er schob sich hindurch. Dachte nicht an die Schmerzen in seinen Schultern und Rippen und an die spitzen Steine, die ihm durch die Kleider die Haut aufrissen. Verbissen arbeitete er sich weiter vor. Er zog die Beine nach – und war draußen.
Er blieb am Boden liegen, rang nach Luft und wünschte, dass sein geschundener Körper sich erholen möge.
Nach einiger Zeit öffnete er die Augen. Schaute sich um.
Und erschauerte.
Es sah aus wie in einem Beinhaus. Totenschädel und Knochen türmten sich an den Wänden. Er konnte nicht erkennen, ob sie bloß vor den Wänden aufgestapelt waren oder ob sie selbst die Wände bildeten. So viele waren es. Der
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