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Stirb, mein Prinz

Stirb, mein Prinz

Titel: Stirb, mein Prinz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tania Carver
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gesehen? Oder überhaupt ein Telefon? »Alles okay«, sagte sie noch einmal und hoffte, dass ihre Worte ihn beruhigen würden.
    Marina steckte ihr Handy ein und machte Anni von der Tür her ein Zeichen. »Das war Phil. Er will, dass ich zum Tatort komme.«
    »Haben Sie ihm nicht gesagt, was hier los ist?«
    »Doch, habe ich, aber …« Sie hob die Schultern.
    »Sie machen das so gut. Er wollte uns gerade sagen, woher er kommt.«
    »Mag sein. Wenn er es überhaupt weiß, was ich bezweifeln möchte. Anni, er kann kaum sprechen. Ich meine, ich tue, was ich kann, aber meine Mittel sind begrenzt. Das ist nicht mein Fachgebiet. Es muss wirklich ein ausgebildeter Kinderpsychologe herkommen und mit ihm arbeiten. Und es wird dauern.«
    Anni sah erneut zu dem Jungen im Bett. Eine verlorene kleine Seele. Das Herz wurde ihr schwer.
    »Ich mache mich jetzt besser auf den Weg«, meinte Marina. »Reden Sie weiter mit ihm. Fragen Sie ihn nach seiner Mutter. Aber er soll lieber nicht über diesen Gärtner sprechen, der scheint ihm Angst zu machen.« Dann warf auch sie einen Blick zu Finn. »Ich verabschiede mich nur noch kurz von ihm.«
    19 Phil war mit seinem Latein am Ende.
    Frustriert und ratlos betrachtete er das menschliche Wrack, das vor ihm saß. Er hatte keine Ahnung, was er noch sagen sollte, unternahm aber trotzdem einen weiteren Versuch. »Also gut … hören Sie.« Er seufzte. »Ich tue Ihnen nichts. Sie sind nicht in Schwierigkeiten. Wir brauchen bloß Ihre Hilfe.«
    Der Mann starrte über Phils Schulter hinweg. Schien dort etwas zu sehen, was für Phil unsichtbar war. Etwas, das sich gar nicht wirklich im Raum befand. Phil bemühte sich, seine Gereiztheit zu unterdrücken.
    Sie saßen einander im Einsatzwagen auf Klappstühlen gegenüber. Phil war bisher nie aufgefallen, wie eng diese Wagen waren. Und wie schlecht belüftet. Aber jetzt fiel es ihm auf. Und wie es ihm auffiel.
    Der Obdachlose stank, als wären Teile von ihm im Absterben begriffen. Als verwese er direkt vor Phils Augen. Es hätte Phil nicht weiter gewundert, wenn beim Aufstehen der eine oder andere Körperteil liegen geblieben wäre. Die Fetzen, die er am Leib trug, ließen kaum noch erahnen, was für Kleidungsstücke sie früher einmal gewesen waren. Er hatte sich mehrere Hemden, T-Shirts und Unterhemden übereinander angezogen, und im Laufe der Zeit hatten sich die einzelnen Bekleidungsschichten zu einer einzigen dreckstarrenden Kruste verbunden. Seine schlechtsitzende Hose war zerrissen und gab den Blick auf schorfige, von Geschwüren übersäte Beine frei. Seine Stiefel hatten Löcher, er trug keine Socken an den Füßen.
    Und erst sein Gesicht. Normalerweise hatte Phil ein gutes Auge für Alter und Herkunft anderer Menschen. Eigenheiten in Mimik und Gestik verrieten fast jeden. Bei diesem Mann allerdings hatte er nicht die geringste Ahnung. Die tiefen Falten seines Gesichts saßen voll Schmutz, seine Haut war gerötet. Seine grauen Haare waren lang, verfilzt und starrten vor Schmutz – genau wie sein Bart. Geschunden, vernarbt und verwittert, wie er war, hätte er ebenso gut vierzig wie siebzig Jahre alt sein können.
    Phil sprach ihn erneut an, um einen ruhigen, möglichst wenig bedrohlichen Tonfall bemüht. Er hielt es nicht für klug, dem Mann zu sagen, dass er der Hauptverdächtige in einem Fall von Kindesentführung und möglicherweise versuchtem Mord war. »Also, wie heißen Sie?«
    Der Obdachlose drehte den Kopf in Phils Richtung und richtete langsam seine Augen auf ihn. Sein Blick war ausdruckslos.
    »Haben Sie einen Namen? Wie soll ich Sie nennen?«
    »Paul.«
    Ein erstes Ergebnis. »Paul. Gut. Ich bin Phil.« Er beugte sich vor. »Also, Paul, was haben Sie in dem Haus gemacht? Leben Sie dort?«
    »Ich lebe … durch Gottes Gnade … lebe ich …«
    »Verstehe. Und leben Sie durch Gottes Gnade in dem Haus? In dem Haus, wo ich Sie gefunden habe?«
    Ein Seufzer, als hätte Paul mit Phils Erwähnung des Hauses eine schwere Last auf seine Seele geladen. »Mein … Haus.«
    »Ihr Haus. Verstehe.«
    Pauls Stimme wurde lauter. »Mein Haus hat viele Wohnungen …«
    Wunderbar , dachte Phil. So etwas hatte er bereits befürchtet. »Das stimmt. Ja. Also, leben Sie dort, wo ich Sie gefunden habe?«
    Wieder ein ausdrucksloser Blick, dann legte Paul den Kopf in den Nacken, wie um sich zu erinnern. Schließlich ein Nicken.
    »Gut. Das ist gut. Sehr gut. Vielleicht können Sie mir helfen, Paul. Kennen Sie das Haus gegenüber von Ihrem? Das, in dem wir

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