Stirb, mein Prinz
gut, hatte sie aber auf Anhieb unsympathisch gefunden. Leider kam Flucht nicht in Frage. Sie schaute nämlich direkt in seine Richtung. Ihm würde wohl nichts übrig bleiben, als mit ihr zu sprechen.
Sie kam über die Straße auf ihn zu. Lächelte.
»Hallo, Mickey. Lange nicht gesehen.«
»Rose. Ich wusste gar nicht, dass Sie hier in der Gegend wohnen.«
Sie lachte kurz und gepresst auf. »Ich? Hier wohnen? Das ist ein Witz, oder? Nein. Ich arbeite.«
»Ah, gut«, sagte er, erleichtert, dass sie nicht länger bei der Polizei war. »Wo denn?«
Sie sah ihn mit fragend gerunzelter Stirn an. »Bei der Polizei. Wo denn sonst?«
Das verschlug Mickey für einen Moment die Sprache. Er wusste, was ihr passiert war, dass man sie deswegen auf unbestimmte Zeit beurlaubt hatte. Alle wussten es. Und die meisten hatten nicht damit gerechnet, dass sie jemals wiederkommen würde.
»Überrascht, was?«
»Na ja, schon irgendwie … Wie kommt’s?«
»Glass hat mich zurückgeholt.«
»Sie haben doch nicht mit …?«
Ihr Gesicht verdüsterte sich. »Nein. Um Gottes willen, nein. Es ist ein Autounfall. Also, zumindest denken wir, dass es ein Unfall war. Eine Tote.« Sie zeigte in die Richtung, aus der sie gekommen war. »Hat da unten gewohnt. Prostituierte.«
»Aha.«
Sie standen da und sahen sich an. Wussten nicht, was sie noch sagen sollten.
»Na dann«, meinte sie schließlich. »Ich muss weiter. War schön, Sie zu sehen, Mickey. Bestimmt treffen wir uns demnächst wieder öfter.«
Bloß nicht. »Ja. Klar, Rose.«
Sie wandte sich zum Gehen, hielt aber noch einmal inne. »Ach so, und es heißt jetzt Detective Inspector. Ich bin befördert worden. Tschüs.«
Mit einem Lächeln drehte sie sich um und ging davon.
Mickey blieb allein zurück. Er hatte Mühe, die letzte Information zu verdauen. Das Signal an der Fußgängerampel ertönte. Er starrte sie an, ohne sich von der Stelle zu rühren.
»Detective Inspector … ich fasse es nicht …«
23 »Wie geht es ihm?«
Mit dem Handy am Ohr ging Marina am Fuß des East Hill auf das Absperrband zu. Vom anderen Ende der Leitung kam Annis Stimme.
»Er schläft wieder. War nicht mehr lange wach, nachdem Sie gegangen waren. Er ist total entkräftet.«
»Hat er noch was gesagt?«
»Nichts. Ich bin noch bei ihm, aber wenn er sich länger nicht mehr rührt, dann bitte ich vielleicht einen Uniformierten, auf ihn aufzupassen. Oder ich bestelle jemanden von der … keine Ahnung – Angehörigenbetreuung her? Ich bin ein bisschen ratlos.«
»Er braucht psychologische Hilfe.«
»Tja, die hatte er ja. Ganz kurz. Dann musste sie leider weg.«
Marina lächelte. »Wir reden später weiter.«
Sie steckte das Handy ein, hielt ihren Dienstausweis hoch und duckte sich unter dem Plastikband durch.
Sie spürte, wie die Blicke der Schaulustigen auf der Brücke sie verfolgten. Wusste, dass auch Leute von der Presse darunter waren. Sicher würden die sich fragen, wer sie war und was sie hier machte. Sie kam sich vor wie eine Prominente auf dem roten Teppich. Ein Gefühl, das sie genoss. Vermutlich mehr, als sie selbst guthieß – wenn man bedachte, weshalb sie hier war.
Natürlich war es auch denkbar, dass die Presse sie längst erkannt hatte. Nach zwei aufsehenerregenden Mordfällen wäre das nicht weiter erstaunlich.
Sie sah sich nach Phil um. Konnte ihn nirgends entdecken. Es herrschte eine Atmosphäre stiller Angespanntheit. Das weiße Zelt war aufgebaut, und Kriminaltechniker in blauen Overalls verrichteten schweigend und konzentriert ihre Arbeit. Auch mehrere Uniformierte waren vor Ort. Sie entdeckte Adrian Wren, winkte ihm zu und wollte zu ihm gehen, um ihn zu fragen, wo Phil steckte. Doch bevor sie dazu Gelegenheit hatte, unterbrach eine Person die Unterhaltung mit zwei Uniformierten und kam ihr entgegen.
»Marina. Wie schön, Sie zu sehen.« Brian Glass lächelte und breitete die Arme aus, als hieße er sie auf seiner Party willkommen. Sein Blick schweifte kurz ab, dann kehrte er zu ihr zurück. »Ich fürchte, Phil ist im Augenblick beschäftigt. Wollten Sie zu ihm?«
Als Glass nach Southway gekommen war, hatte Marina sich alle Mühe gegeben, ihn zu mögen. Er hatte es ihr nicht leichtgemacht. Er war genau die Sorte Polizist, mit der sie höchst ungern zusammenarbeitete. Vollkommen unpersönlich. Es schien eine Spezies Mensch zu geben – und leider waren die Angehörigen dieser Spezies bei der Polizei in der Überzahl –, die sich mit jedem Dienstgrad einen Teil ihrer
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