Stirb, mein Prinz
Persönlichkeit chirurgisch entfernen ließen. Glass war ein Paradebeispiel dafür. Der Mann war innerlich komplett abgestorben, zeigte keinerlei Lebenskraft. Zumindest war ihr noch nichts dergleichen aufgefallen. Phil gegenüber hatte sie einmal gemeint, Glass erinnere sie an eine Nebenfigur aus der Fernsehserie 24 , einen Mitarbeiter der US -Antiterroreinheit, dessen Aufgabe darin bestand, einen Anzug zu tragen und Befehle zu geben, und der darüber hinaus keinerlei erkennbare Charaktereigenschaften besaß.
Immerhin äußerte Glass sich gelegentlich positiv über ihre Arbeit und die Wichtigkeit eines Polizeipsychologen im Allgemeinen. Wenigstens in ihrer Gegenwart. In Zeiten von Etatkürzungen hielten viele Vorgesetzte einen festangestellten Polizeipsychologen für überflüssigen Luxus. Sie vertraten die Ansicht, dass alles, was Marina an Leistungen erbrachte, bei Bedarf genauso gut für einen Bruchteil der Kosten extern beschafft werden konnte. Dabei schien es keine Rolle zu spielen, was für Ergebnisse sie lieferte und auf welchem fachlichen Niveau sie arbeitete.
Dementsprechend verhielt sie sich ihm gegenüber höflich, aber zurückhaltend. Das erschien ihr am klügsten.
»Ja«, sagte sie. »Ich wollte zu Phil.«
»Kann ich ihm vielleicht etwas ausrichten?«
Er vermittelte ihr das Gefühl zu stören. Die lästige Ehefrau, die sich überall einmischen musste und ihrem Gatten das vergessene Butterbrot auf die Arbeit hinterhertrug. Es steckte keine Absicht dahinter, davon war sie überzeugt. Er war einfach von Natur aus ein Sexist.
»Ich warte lieber«, sagte sie. »Er möchte, dass ich mir mit ihm zusammen den Tatort ansehe. Möglicherweise kann ich ihm einige Anhaltspunkte liefern.«
»Gut, gut. Sehr schön. Hilfe ist immer willkommen.« Er zog die Brauen zusammen, als denke er nach. »Was ist mit dem Jungen? Dem aus dem Keller?«
»Im Moment ist Anni bei ihm. Er ist aufgewacht, und ich habe mit ihm gesprochen. Aber viel war nicht aus ihm herauszubekommen. Er hat mehrmals nach seiner Mutter gefragt.«
»Nach seiner Mutter?«
Sie nickte. »Wenn ich ihn richtig verstanden habe. Wo auch immer er gefangen gehalten wurde, er war für sehr lange Zeit dort. Er kann kaum sprechen. Hat überhaupt große Schwierigkeiten zu kommunizieren. Er ist schwer gestört. Sehr schwer. Es wird lange dauern, bis wir mit einer halbwegs kohärenten Aussage von ihm rechnen können.«
Er nickte. »Verstehe. Gut. Gute Arbeit, Marina.«
Sie schwieg.
»Machen Sie weiter so.« Ein Lächeln. Bestimmt denkt er, dass er dabei so aussieht wie Churchill bei der Mobilmachung seiner Truppen , schoss es Marina durch den Kopf.
»Das tue ich«, versicherte sie ihm. Er wollte weggehen, doch sie hielt ihn zurück. »Ach übrigens. Ich bin froh, dass wir uns über den Weg gelaufen sind. Es gibt da nämlich etwas, worüber ich mit Ihnen sprechen wollte.«
Er sah sie fragend an. Wartete.
»Rose Martin.«
Sofort veränderte sich sein Verhalten. »Was ist mit ihr?«, fragte er vorsichtig.
»Sie haben sie wieder in den aktiven Dienst aufgenommen. Ich denke nicht, dass sie schon so weit ist.«
Glass straffte die Schultern. Seine Miene wurde verschlossen. »Das ist Ihre persönliche Meinung.«
»Meine professionelle Einschätzung als ihre Psychologin. Sie zeigt nach wie vor Anzeichen von Stress und ist traumatisiert. Sie ist emotional noch nicht gefestigt genug, um mit den Anforderungen ihrer Arbeit fertig zu werden. Zumindest nicht im aktiven Dienst.«
»Nun, vielen Dank für diese Überlegungen, Marina«, sagte er und nickte. »Sie wissen, dass ich Ihre Meinung außerordentlich schätze. Ich bin mir sicher, Sie lassen sie in Ihre Beurteilung einfließen. Ich werde sie dann lesen.«
Marina spürte, wie ihr Gesicht rot anlief und ihre Hände zu zittern anfingen. Sie schluckte ihre Empörung hinunter und sprach weiter. »Mit Verlaub, Brian. Sie haben sie bereits wieder in den aktiven Dienst aufgenommen und, wie ich höre, sogar befördert.«
Er hielt die Hände hoch, als wolle er andeuten, dass er kapituliere. »Ich fürchte, das war nicht ich. Die Kugel wurde ins Rollen gebracht, bevor ich hierherkam.« Er sah sie an, und sie entdeckte Aufrichtigkeit in seinem Blick. Vielleicht auch nur gut vorgetäuschte. Er senkte die Stimme. »Marina, es ist doch so. Manchmal muss ich auch unpopuläre Entscheidungen treffen oder solche, die diejenigen, die nicht im Besitz sämtlicher Fakten sind, eventuell als … strittig empfinden. Rose Martin ist
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