Stirb mit mir: Roman (German Edition)
sind kahl, der Fußboden ist mit Linoleum ausgelegt, und in der Tür ist ein kleines Fenster. Jemand späht zu mir herein. Es ist ein Mann. Als er merkt, dass ich ihn beobachte, verschwindet er. Als Nächstes registriere ich das Stahlgestell meines Betts, dann eine zusammenklappte Stofftrennwand auf Rollen, die an der Wand gegenüber lehnt. Demnach bin ich in einem Krankenhaus.
Wie sich die öffentlichen Einrichtungen doch gleichen, Krankenhäuser, Schulen, sogar Flughäfen. Überall riecht es nach gekochtem Essen und Chlor, überall hört man quietschende Räder, die über Kunststoffböden fahren, piepende Geräte und Lautsprecheransagen. Nachts ist es dort weder dunkel noch still. Immerzu ist jemand bei der Arbeit, gibt es irgendwen, der herumhantiert. Wie soll ich da schlafen? Im Gefängnis dürfte es ähnlich sein. Allerdings wäre ich dort machtlos und würde in der langen Zeit, in der ich auf meine Freilassung warte, die Tage zählen. Im Krankenhaus gibt es kein festes Datum, an dem man entlassen wird. Sie müssen mich lediglich für gesund erklären.
Ich greife nach dem Stapel ungewaschener Kleider, die gefaltet auf dem Nachttisch liegen, und wünschte, ich könnte etwas Anständiges tragen. Als ich das dünne weiße Laken und die schwere Bettdecke zurückschlage, stelle ich fest, dass ich ein Nachthemd anhabe. Es ist mir bis zur Taille hochgerutscht, meine Unterhose fehlt. Diese Dreckschweine! Sie haben alles gesehen. Hastig streife ich die Unterhose über. Sie ist noch von gestern, aber besser als nichts. Auch die bereits getragene Leggings ziehe ich nur widerwillig an und lange nach dem T -Shirt. Mir fällt wieder ein, dass ich für den Besuch von Dr. Gregg keinen Büstenhalter getragen habe. Ich habe das T -Shirt noch nicht ganz heruntergezogen, als nach einmaligem Klopfen ein Krankenpfleger hereinkommt. Er trägt ein Tablett vor sich her. Ich erkenne einen Teller mit Würstchen und Pommes frites und ein Plastiktütchen Ketchup. Seinem Namensschild entnehme ich, dass er Shane heißt.
»Ich bin Vegetarierin.«
»Dann lassen Sie die Würstchen liegen.« Shane glotzt auf mein T -Shirt, auf meine Brüste unter dem dünnen Baumwollstoff, und schaut dann ostentativ fort. »Ich habe angeklopft. Sie hätten mir sagen sollen, dass Sie sich gerade anziehen.«
»Welchen Tag haben wir?« Ich bin vollkommen desorientiert.
»Mittwoch. Sie sind gestern Nachmittag eingeliefert worden.« Er stellt das Tablett auf den Nachttisch.
»Wie lange muss ich hierbleiben?«
»Bis die Ärzte sagen, dass Sie wieder gehen können. Doktor Gregg kommt morgen früh vorbei.«
»Morgen? Wie wäre es mit heute?«
»Heute war er schon da. Sie haben ihn verpasst, weil Sie geschlafen haben.« Er wendet sich ab.
»Was soll ich in der Zwischenzeit machen? Ich brauche Kleidung und Kosmetikartikel.«
»Sie können telefonieren und jemanden bitten, Ihnen die Sachen vorbeizubringen. Haben Sie hier in der Nähe Familie?«
Bei dem Gedanken, dass meine Mutter hierherkäme, überläuft mich ein Schauer. Dann stelle ich mir meinen Vater in diesem Zimmer vor. Wie er an den kahlen Wänden einen Punkt zum Festhalten sucht, nur um seine verrückte Tochter nicht anschauen zu müssen. Nein, das kann ich den beiden nicht antun. Da kommt mir eine Idee. »Ich muss telefonieren. Sofort.«
Shane hat schon eine Hand an der Türklinke. »Gute Manieren würden Ihnen nicht schaden. Sie sind hier nicht in einem Fünfsternehotel.«
Verärgert folge ich ihm hinaus in den Flur und zum Telefon.
»Miss Austin? Hier spricht Alice Mariani. Ich muss Sie sehen.«
»Rufen Sie aus dem Sankt Theresa an?«
Ich frage mich kurz, woher sie das weiß. Irgendjemand muss sie benachrichtigt haben. Ein Privatleben scheint es nicht mehr zu geben, wenn man auf ein Gerichtsurteil wartet. »Ja, ich möchte Sie um einen Gefallen bitten. Können Sie mir helfen?«
Sie zögert. Dann sagt sie: »Das hängt von dem Gefallen ab. Worum geht es denn?«
Ich werde wach und spüre den kalten Morgen.
Ich bin allein in dem Krankenhauszimmer, das in Wahrheit eine Zelle ist. Hinter dem kleinen Glasfenster in der Tür flimmert grelles Neonlicht. Ich höre den Nachtdienst. Anscheinend sitzt das komplette Team im Aufenthaltsraum und sieht fern. Eine Talkshow. Sie machen sich nicht einmal die Mühe, ihr Lachen zu dämpfen. Überhaupt lacht das Personal hier mehr, als es an anderen Arbeitsplätzen üblich ist. In Läden und Supermärkten habe ich die Angestellten jedenfalls noch nie Tränen
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