Stirb mit mir: Roman (German Edition)
Es ist noch zu früh. Cate Austin wird ungeduldig, wie ein Elternteil gegenüber einem bockigen Kind. Es ist mir einerlei.
»Na schön, vielleicht können Sie mir die nächste Frage beantworten. Warum hat Doktor Gregg Sie in diese Klinik eingewiesen? Was hat Sie dazu gebracht, sich die Glasscherbe an die Kehle zu halten?«
In diesem Augenblick öffnet sich die Tür, und Shane kommt herein. Dass ich Besuch habe, ignoriert er.
»Essenszeit, Alice.«
Cate wirft einen Blick auf die Wanduhr. Es ist erst halb fünf. »Könnten Sie uns bitte noch ein paar Minuten lassen?«
Shane zuckt die Achseln und wendet sich ab. »Wie Sie wollen, aber dann landet ihr Essen im Müll. Der Koch kann es nicht leiden, wenn jemand zu spät kommt.«
Diese Leute kennen keinen Respekt.
»Dann gehe ich jetzt wohl besser«, sagt Cate. »Morgen komme ich wieder.«
»Sehen Sie zu, dass Sie mit dem Quacksalber sprechen, der mich hier eingekerkert hat. Ehe ich ausraste und ihm zeige, wie echter Wahnsinn aussieht.«
Siebzehn
»Wie sehen die Optionen aus?«, fragte Paul, verschränkte die Hände hinter dem Kopf und sank tiefer in seinen Sessel.
Cate spielte mit einem Stift, klappte den Aktendeckel damit auf und dachte nach. Bericht erstatten hieß, dass man einen Fall noch einmal durchgehen konnte, trotzdem war sie froh, dass Paul ihr Vorgesetzter war, denn ihm gegenüber konnte sie offen reden. »Falls Doktor Gregg einen Klinikaufenthalt empfiehlt, könnte ich mir vorstellen, dass der Richter sich darauf einlässt. Das würde bedeuten, dass Alice so gehandelt hat, weil sie krank ist, und geheilt werden kann. Das ist tröstlicher, als zu denken, dass sie bei der Tat geistig gesund war.«
»Ging es ihr denn gut, als du sie im Sankt Theresa besucht hast? Oder gab es Hinweise auf psychische Probleme?«
»Wenn es welche gab, habe ich sie nicht erkannt. Sie wirkte ebenso normal wie ich. Das hieße also, sie bekäme Bewährung.«
»Dann lass uns das mal durchsprechen. Wie würdest du in einem solchen Fall vorgehen?«
»Zum einen würde ich mir ihre Einstellung zu Beziehungen generell anschauen. Liebe und Opfer, die beiden Begriffe scheint sie völlig falsch aufzufassen. Die müssen dringend aufgearbeitet werden. Danach wissen wir, ob sie so etwas noch mal tun würde oder nicht.«
»Du liebe Güte, sie ist doch wohl keine Gefahr für die Menschheit. Die Frau hat lediglich einen Verrückten gefunden, der wollte, dass sie ihm hilft zu sterben. Solche Leute stehen nicht gerade Schlange.«
»Das will ich hoffen, was nicht heißt, dass sie es nicht noch mal versucht. Alice Mariani ist extrem kalt und gefühllos, auch wenn sie behauptet, dass ihre Sterbehilfe ein Akt der Liebe war. Ich möchte etwas für sie empfinden, eine Art Verbindung spüren, aber das kann ich nicht. Es ist, als spräche ich mit einem Hologramm, das zwar lebensecht aussieht, letztlich jedoch nur ein Bild ist. Zu der wahren Alice dringe ich anscheinend gar nicht durch.«
Paul löste die Arme und setzte sich um. Die Berichtsformulare auf seinem Schreibtisch hatte er offenbar vergessen. »Gut, dann ist sie eben ein kalter Fisch, bloß was machen wir mit dem Fall? Was wirst du dem Richter empfehlen?«
»Das weiß der Himmel. Nach wie vor bin ich der Meinung, dass im Grunde nur eine Gefängnisstrafe infrage kommt. Wenn ich bei ihr in den nächsten Tagen nichts erreiche, bleibt mir nur die Schlussfolgerung, dass sie unzugänglich und Bewährung deshalb nicht die richtige Lösung ist. Was soll denn ein Bewährungshelfer bitte machen, wenn sie sich nicht öffnet?«
»Immerhin spricht sie mit dir.«
»Ja, aber ich spüre, dass sie eine Menge für sich behält. Das Motiv beispielsweise. Mir ist noch immer nicht klar, warum sie David Jenkins helfen wollte, sein Leben zu beenden. Und solange ich das nicht weiß, kann ich keine zufriedenstellende Empfehlung schreiben. Zuerst muss ich mir sicher sein, dass ein künftiger Bewährungshelfer so weit zu ihr vordringen kann, dass er ohne jeden Zweifel erkennt, Sterbehilfe wird Alice nie wieder leisten. Wenn das nicht passiert, bleibt mir nichts anderes übrig, als eine Gefängnisstrafe zu empfehlen. Dazu sehe ich keine Alternative.«
»Hm«, machte Paul. »Es ist dein Fall, Cate, aber sei nicht zu voreilig. Denk daran, dass David Jenkins sterben wollte und Alice Mariani niemanden umgebracht hat.«
Achtzehn
Ich bin in einer Irrenanstalt, aber ich bin nicht verrückt. Verrückte können zurechtgerückt werden, und ich will nicht, dass jemand
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