Stirb mit mir: Roman (German Edition)
Zehen betonte. Ich ließ den Blick höher wandern, so wie ein Mann es tun würde, und sah die schwache Kontur meines Slips, den Spitzenstoff meines Büstenhalters. Weiß auf Weiß. Mein Hals war lang und schlank. Dann kamen mein Gesicht und das lange Haar, das mir wie eine Welle über den Rücken fiel. Wie oft betrachten wir unser Gesicht und erkennen nicht, was wirklich da ist? Ich versuchte, es langsam zu tun, als hätte ich es zum ersten Mal vor mir, wie ein Künstler, der vor dem Beginn des Portraits sein Modell studiert. Meine Augen waren mandelförmig, die Farbe wirkte an diesem Morgen grau, obwohl meine Augen eigentlich grün sind. Die Schattierungen verändern sich mit den Farben, die ich trage. Meine Nase, deren Spitze zart nach oben deutet, ist feminin, aber meine Nasenlöcher mag ich nicht. Sie sind zu klein für mein Gesicht. Meine Wangenknochen springen hervor, meine Stirn ist gewölbt.
Ich habe etwas von einer klassischen Schönheit, ohne Muttermale, Sommersprossen, Auswüchse oder andere Unregelmäßigkeiten. Nur glattes Porzellan, rosig überhaucht, helles Haar und peridotgrüne Augen. Mein Aussehen erschwert es mir, mich im Beisein von Frauen wohl zu fühlen, und noch schwieriger ist es, Männern auszuweichen. Hätte ich wählen können, wäre ich unansehnlich geworden.
Die Tür des Badezimmers öffnete sich. Ich hörte, dass Smith das Gästezimmer betrat, stellte mir vor, wie er sich über seinen Rucksack beugte und sich für ein Hemd entschied. Es war ein verschwommenes Bild, denn ich wusste ja nicht, wie er nackt aussah. Noch nicht. Schließlich war er erst gestern angekommen.
Danach trafen wir uns an den meisten Wochenenden, doch nur im Internet lernten wir uns richtig kennen. Jeden Abend, wenn ich mich einloggte, war er für gewöhnlich schon da und wartete. Unsere Gespräche im Cyberspace hatten mehr Bedeutung als unsere persönlichen Begegnungen. Auf dem Bildschirm tauschten wir uns aus und sprachen über seine letzte Reise.
Robin:
Glück und Leid sind die beiden Seiten einer Medaille. Ohne das eine kann man das andere nicht haben. Bist du dazu bereit?
Smith:
Ich glaube schon. Aber ich möchte erst mehr über dich erfahren. Dass ich so wenig weiß, bereitet mir Kummer.
Robin:
Warum?
Smith:
Ich bin mir nicht sicher. Es ist, als heirate man eine Fremde. Als liefe alles in der falschen Reihenfolge ab. Verstehst du, was ich meine?
Robin:
Nicht wirklich. Würde es etwas ändern, wenn du wüsstest, was meine Lieblingsblumen sind?
Smith:
Vielleicht. Ich möchte nicht, dass wir Fremde sind. Ich möchte, dass du die Liebe meines Lebens bist.
Robin:
Tulpen.
Smith:
Welche Farbe?
Robin:
Weiß. Oder Rot. Und was ist deine Lieblingsblume?
Smith:
Ich mag keine Blumen, sie bringen mich zum Niesen. Was hast du für Hobbys?
Robin:
Bücher natürlich. Und Kunst. Mit beidem wird man unsterblich, das ist der Reiz daran. Die Figuren auf einer Vase bleiben ewig bestehen.
Smith:
In der Kunst würde ich mich gern auskennen. Manchmal fühle ich mich wie der letzte Banause. Die Galerien, in denen ich war, haben mich kalt gelassen. Was entgeht mir denn da?
Robin:
Viel. Zum Beispiel in ein Bild oder eine Szene einzutauchen und das Dargestellte zu spüren, es tatsächlich zu erleben. In der Lage zu sein, in einem Bild zu existieren, ohne das Gefühl rationalisieren oder begründen zu wollen. Keats hat das als Negativfähigkeit bezeichnet.
Smith:
Zeigst du mir, wie das geht? Zu fühlen, ohne zu denken. Genau das brauche ich.
Ich vermute, es war wie der Anfang einer jeden Beziehung. Doch es war immer da: Hinter allem, was wir sagten oder taten, stand Smiths Plan zu sterben. Er hatte eine Flaschenpost aufgegeben, die ich aus dem Meer gefischt hatte. Dass wir zusammenkamen, war eigentlich unwahrscheinlich, aber als es geschah, war es Schicksal.
Cate lächelt kaum wahrnehmbar. »Das glauben alle Liebenden. Bis die Zeit und die Erfahrung ihnen das Gegenteil beweisen.«
Ich könnte sie küssen. »Bravo. So ist die Liebe, Sie haben es erfasst. Wer würde dieses Gefühl nicht erhalten wollen, wenn er könnte? Oder es wagte. Wenn dies das Ausmaß meines Irrsinns ist, dann gehöre ich mit Sicherheit nicht hierher, in diese Klinik. Sie helfen mir doch, damit ich bald entlassen werde, oder? Sie sprechen mit Doktor Gregg, nicht wahr?«
»David Sterbehilfe zu leisten, war für Sie demnach ein Akt der Liebe?«, fragt sie nachdenklich.
Ich bin froh, dass sie mich versteht, aber diese Frage kann ich nicht beantworten.
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