Stirb mit mir: Roman (German Edition)
sondern mit sich selbst, betet lediglich den üblichen Text eines Arztes herunter, der Pillen verteilt. Prozac oder einen anderen Cocktail, der Serotonin enthält.
Nichts davon werde ich nehmen. Ich lasse mich nicht dazu bringen, wahnsinnig zu werden, schließlich ist meine geistige Gesundheit alles, was ich habe.
»Wissen Sie noch, was am Dienstag geschehen ist, Alice?«
Ich versuche, mich zu erinnern, doch mein Gedächtnis ist wie Brachland. Ich erkenne Konturen, aber keine Details. Welches Mittel haben sie mir gegeben, dass ich diesen Tag nicht mehr greifen kann? Ich höre, wie Glas zerschellt, und frage mich, ob an dem Tag meine Geduld oder mein Verstand zersplittert ist.
Neunzehn
Auf dem Weg zur geschlossenen Abteilung traf Cate auf einen Pfleger und fragte, wo sie Dr. Gregg finden könne. Sein Büro, erfuhr sie, lag im Hauptgebäude der Psychiatrie, gleich neben der Rehaabteilung für Kopfverletzungen. Sie bedankte sich. Wenig später stieß sie auf einen Schilderwald, in dem sie nach dem richtigen Hinweis suchte. Im Laufen musste sie Patienten ausweichen, Männern und Frauen, die über die Flure schlurften oder eilten, jeder ein Abbild psychischen Leidens. So ist Alice nicht, ging es ihr durch den Kopf. Womöglich war sie egomanisch, doch für selbstmordgefährdet hielt Cate sie nicht. Deshalb wollte sie noch einmal mit Dr. Gregg sprechen, denn sie durfte im Fall Mariani keine Fehler machen. Sie hatte schon einmal falsch geurteilt, ein zweites Mal würde es nicht geben. Cate durchquerte die offene Abteilung, in der niemand gegen seinen Willen festgehalten wurde, und gelangte zu einem Stationsbüro mit Kaffeemaschine und Schreibtischen. Zwei Schwestern und eine nervös lachende Frau in einem weiten, fließenden Rock unterhielten sich und nahmen Eintragungen in Akten vor.
Cate klopfte an die geöffnete Tür und sagte: »Ich suche Doktor Gregg.«
Eine der Schwestern fragte nach ihrem Namen, und Cate stellte sich vor. Die Schwester nahm den Telefonhörer auf. Cate hörte, dass sie mit Dr. Gregg sprach und ihren Besuch ankündigte.
»Er macht gerade Mittagspause«, sagte sie im Auflegen. »Wenn es Ihnen nichts ausmacht, dass er isst, können Sie gern zu ihm kommen.«
Cate nahm den beschriebenen Weg über den Flur und kam an eine Tür, wo in vergoldeten Buchstaben auf schwarzem Grund ›Dr. Charles Gregg, forensischer Psychiater‹ stand. Sie klopfte und wartete.
»Treten Sie ein.«
Dr. Gregg saß an einem riesengroßen Schreibtisch. Auf einer Serviette vor ihm lagen eine geöffnete Chipstüte und ein halb verzehrtes Hotdog. Cate schätzte den Arzt auf Anfang fünfzig. Er trug eine Lesebrille, das brünette Haar war von Silberfäden durchzogen, und in seinen Augenwinkeln waren Lachfältchen zu erkennen. Er stand auf, wischte sich die Finger an der Serviette ab und streckte eine Hand aus.
»Endlich lernen wir uns einmal persönlich kennen, Miss Austin.«
»Cate.« Sie gab ihm kurz die Hand.
»Setzen Sie sich. Und nennen Sie mich bitte Charles. Ich hoffe, es stört Sie nicht, wenn ich weiteresse.« Er deutete auf das Hotdog. Cate schüttelte den Kopf. »Wenn ich jetzt keinen Happen zu mir nehme, komme ich später nicht mehr dazu.«
Sie ließ sich nieder. Der Stuhl war recht niedrig und brachte sie mit einem gerahmten Foto auf Augenhöhe. Darauf war eine elegante Frau mit dunklem, toupiertem Haar zu sehen, wahrscheinlich seine Ehefrau. Ein zweites Foto zeigte einen riesigen Bernhardiner, der sabbernd einen Ball im Maul hielt.
»Ich bin auf dem Weg zu Alice Mariani«, begann Cate. »Es ist mein zweiter Besuch hier bei ihr im Krankenhaus. Gestern habe ich ihr ein paar Sachen vorbeigebracht.«
Dr. Gregg schluckte einen Bissen herunter. »Ah, deshalb hat sie mir heute Morgen so viel besser gefallen. Sie hätten sie am Dienstag sehen sollen. Was für einen Eindruck hat Alice denn gestern auf Sie gemacht?«
»Einen sehr guten, würde ich sagen. Anfangs fand ich, dass sie angegriffen wirkte, aber nachdem sie sich umgezogen hatte und wir uns unterhielten, kam sie mir nicht anders vor als am Montag.« Cate zögerte. »Natürlich habe ich nicht Ihre medizinische Ausbildung …«
Dr. Gregg schob sich den letzten Bissen in den Mund, legte die Unterarme auf den Schreibtisch und musterte Cate über den Rand seiner Brillengläser hinweg.
»Deshalb brauche ich Ihre Hilfe«, fuhr Cate fort. »Mir ist nämlich nicht ganz klar, weshalb sie hier ist. Glauben Sie wirklich, dass Alice eine Gefahr
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