Stirb mit mir: Roman (German Edition)
Verzweiflung. Aufrichtigkeit macht mich verletzlich. Ich setze mich aufs Bett, das unter meinem Gewicht nachgibt. »Ich habe Angst, Cate. Ich brauche Ihre Hilfe. Habe ich denn nur die Wahl, verrückt oder schlecht zu sein? Kann ich nicht vernünftig und normal sein? Es ist zwar riskant, aber ich möchte ich selbst sein. Und die Wahrheit sagen. Allerdings fürchte ich mich, denn ich möchte nicht ins Gefängnis.«
»Ich kann Ihnen nichts versprechen, Alice. In einer Woche wird das Urteil gefällt, und ich weiß noch nicht, was ich empfehlen werde. Nur eines steht fest: Ihre Spielchen müssen aufhören. Glauben Sie, das ist machbar? Sie müssen mir endlich die Wahrheit sagen.«
Abrupt wende ich mich ab und schlucke einen scharfen Geschmack herunter. »Ich habe Ihnen nie etwas anderes als die Wahrheit gesagt. Und ich hasse es, Spielchen zu treiben.«
Cate setzt sich zu mir, rückt so nah an mich heran, dass ich ihre Körperwärme spüre. Ich möchte weinen.
»Dann helfen Sie mir, alles zu verstehen, Alice.«
»Das versuche ich ja. Ich habe versucht, es Ihnen zu erklären.« Ich zwinkere und verfluche die aufsteigenden Tränen. Meine Gedanken entgleiten mir, mein Verstand löst sich auf.
»Erzählen Sie mir mehr über David. Und über Ihre Eltern. Haben sie ihn jemals kennengelernt?«
Wie ich sehe, habe ich wieder einmal keine andere Wahl. Ich muss reden und dabei normal klingen.
Ein einziges Mal haben meine Eltern Smith getroffen. Die Vorstellung, ihn in ihr Haus zu bringen, konnte ich nicht ertragen, doch zu einem Tee am Nachmittag im Hotel White Swan war ich bereit. Es war Ostern, Smith war für das lange freie Wochenende zu Besuch gekommen. Ich erinnere mich, dass er mir auf dem Weg zum Hotel einen Arm um die Schultern legte und sagte: »Ich freue mich darauf, deine Eltern kennenzulernen«, denn mitunter vergaß er, dass wir über eine normale Beziehung erhaben waren. Die Begegnung mit den beiden hätte ich vermieden, wenn ich es gekonnt hätte, aber meine Mutter hatte mich mit ihren immerwährenden Fragen nach ihm zermürbt. Zu guter Letzt gab ich nach, erklärte meinen Eltern jedoch, dass er sehr krank sei und sie ihn nicht ausfragen sollten. Wir vereinbarten, uns am Karfreitag zu treffen.
Smith wusste nicht, dass ich meinen Eltern erzählt hatte, er leide an einer tödlichen Krankheit, die sie für Krebs hielten, denn das hatte ich ihm nie gestanden. Dennoch fühlte ich mich sicher, hielt meine Eltern für zu höflich, um ein solch schreckliches Thema anzusprechen. Ich nahm mir lediglich vor, die Begegnung kurz zu halten.
Das Pub im Hotel White Swan wird in den Sonntagsbeilagen der Zeitungen als Ort gepriesen, an dem die Zeit stillgestanden hat. Bei den Kellnern handelt es sich ausschließlich um junge Leute aus dem Ausland, die vor Beginn ihres Studiums ein Jahr arbeiten. Sie tragen weiße Hemden und schwarze Hosen und balancieren die Tabletts auf Schulterhöhe. Es ist ein gemütliches Pub, geprägt von einem ganz eigenen Shabby Chic, in dem Londoner und Einheimische in Tweedanzügen verkehren. Von solchen Orten träumt meine Mutter, doch wenn sie sich dort befindet, ruiniert sie alles durch ihre Unsicherheit und Nervosität.
Als wir ankamen, hockten meine Eltern noch im Mantel auf der Kante einer Sitzbank in einer Fensternische und wirkten unbehaglich. Als sie uns sahen, sprangen sie auf und stürmten auf uns zu. »Huhu, Alice, hierher!«
Die anderen Gäste drehten sich zu uns um.
Smith und ich nahmen auf einem Sofa Platz, das sich unter unserem Gewicht senkte. Der rechteckige Holztisch vor uns reichte nur bis zu unseren Knien. Meine Eltern ließen sich uns gegenüber auf niedrigen Sesseln nieder. Smith war von ausgesuchter Höflichkeit, hatte den beiden die Hand gereicht und sich wie mit mir ausgemacht mit einem erfundenen Namen vorgestellt. »Ich heiße Richard.«
Wir bestellten Tee. Meine Mutter bestand auf einem Berg Kuchen, als gäbe sie eine Party. Zuoberst befand sich ein Blätterteigschwan mit einer Füllung aus Vanillecreme, und mir fiel ein, dass Schwäne ihr Leben lang mit ihrem Partner zusammenbleiben. Dieses Gebäck war zu schön, um gegessen zu werden.
Meine Mutter knabberte an einem Puddingteilchen, lächelte bekümmert und warf Smith immer wieder verstohlene Blicke zu. Ich wusste, dass sie nach Anzeichen seiner Krankheit suchte. Dass mein Freund krank war, schmerzte meine Eltern, andererseits waren sie froh, dass ich endlich jemanden gefunden hatte.
Smiths Hand zitterte,
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