Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stirb mit mir: Roman (German Edition)

Stirb mit mir: Roman (German Edition)

Titel: Stirb mit mir: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ruth Dugdall
Vom Netzwerk:
wie frisch gemähtes Gras. Sie drückte Alice zu fest an sich und sang ihr leise etwas vor. Es war das Wiegenlied, das sie ihr vorgesungen hatte, seit Alice denken konnte.
    »Weißt du, wie viel Sternlein stehen an dem blauen Himmelszelt?«
    Alice und Mummy standen in der roten Telefonzelle unten an der Straße. Es regnete in Strömen. Durch die beschmierte Glasscheibe sah Alice zu, wie der Regen auf dem Bürgersteig Pfützen bildete, und wünschte, sie könne hinausgehen und darin herumplantschen, aber die Tür war zu schwer für sie, um sie allein öffnen zu können. Sie hatten die Wohnung ohne Stiefel verlassen, sogar ohne Mäntel. Mummy hatte nur den Brief unten von der Matte genommen, ihn aufgemacht und Alice an der Hand gepackt. Dann waren sie zu der Telefonzelle gerannt. Ihre Mutter hatte nicht einmal gemerkt, dass es regnete.
    Nun schrie sie in den schwarzen Hörer hinein und steckte ständig silberne Münzen in den Schlitz. Alice hörte die Wörter, verstand aber nicht alle. Sie wusste nur, dass es um erwachsene Dinge ging und schnappte »Geld« und »Nein, da gehe ich nicht mehr hin, ausgeschlossen« auf. Sie dachte an ein Schloss, an Könige und Königinnen und überlegte, ob Mummy Geld brauchte, um mittanzen zu können.
    Nach dem Telefongespräch liefen sie durch den Regen zurück zu ihrem Zimmer, und Mummy sagte nicht mal, sie solle sich beeilen. Es war, als merke sie gar nicht, dass Alice bis auf die Haut nass geworden war.
    Oben auf dem Flur blieb Mummy vor Mr   Wildings Tür stehen. Alice trat von einem Fuß auf den anderen. Zu guter Letzt klopfte Mummy an der Tür, obwohl er sonst immer zu ihnen kam.
    Alice stand hinter ihrer Mutter und konnte in das Zimmer hineinspähen. Die Kisten waren verschwunden, dafür waren andere Dinge gestapelt, Computer und Fernseher. Mr   Wilding lag auf dem Bett. Auf dem Tisch vor ihm war etwas verschüttet worden, etwas Weißes, vielleicht Waschpulver. Oder Puderzucker. Alice zwängte sich an ihrer Mutter vorbei, lief zu dem Tisch und stippte einen Finger in den Zucker.
    Der Schlag auf ihre Hand tat weh.
    »Rühr das nicht an, Alice!«
    Mummy schob sie fort, dann bückte sie sich und machte den Tisch sauber – allerdings nicht mit den Händen. Sie hatte Alice den Rücken zugekehrt, und als sie sich umdrehte, war das Pulver weg. Mummy lächelte und hatte eine weiße Nasenspitze. Mr   Wilding lächelte auch. Also war es doch noch ein guter Tag geworden.
    Er versuchte, Mummy zu küssen, aber sie gab ihm einen Schubs. »Nicht, wenn Alice dabei ist.«
    Er schaute ihre Mutter mit schmalen Augen an, wie der böse Wolf in Rotkäppchen . Bestimmt wollte er Mummy fressen. Dann sagte er: »Na schön, Matty, ich geb dir noch eine Chance. Diesmal mach lieber keinen Scheiß.«
    Alice wusste, dass dies ein unartiges Wort war.
    Mr   Wilding hatte Zähne wie der Wolf im Märchen, braun und spitz. Außerdem leckte er sich die Lippen, als habe er Hunger. Sie, Alice, wollte er nicht fressen, nur ihre Mutter starrte er hungrig an. Allerdings hatte er etwas zu essen, nur war das nicht in einem Körbchen, war weder Kuchen noch Wein, sondern bestand aus kleinen, in weißes Papier eingeschlagenen Päckchen. Ihre Mummy nahm eins davon mit auf die Toilette. Als sie wiederkam, waren ihre Augen nass, als habe sie geweint, dabei wirkte sie sehr glücklich.
    Mummy bedankte sich bei Mr   Wilding, als würde sie es ehrlich meinen, nicht wie wenn sie sich bei dem Vermieter bedankte, weil er ihr noch Zeit für die Miete ließ. Oder bei der Frau im Sozialamt, zu der sie immer gingen und um Geld bettelten. Dort musste Alice jedes Mal den Pullover mit den Löchern anziehen, außerdem roch es schlecht. Wenn sie da waren, sagte Mummy: »Wir haben kein Geld, um Essen zu kaufen« und zeigte auf Alice. »Sehen Sie sie doch an, sie ist erst vier Jahre alt.« Wenn die Frau »Nein« sagte, antwortete Mummy: »Ich weiß nicht, wie Sie nachts schlafen können.«
    Mr   Wilding war der Wolf, auch wenn er kein Fell hatte. Als Mummy von der Toilette zurückkehrte, legte sie sich auf sein Bett und verschränkte die Arme über den Augen, aber ihr Mund lächelte. Er beugte sich über sie und tat, als wolle er sie küssen. Mummy stieß ihn fort und lachte, doch Alice wusste, dass sie recht hatte: Er war ein Wolf, denn sie hatte seine Zahnabdrücke auf Mummys Hals erkannt.
    Selbst damals und obwohl ich noch so klein war, wusste ich, dass Liebe gefährlich ist.

Zweiundzwanzig
    Dave Jenkins war erst seit sechzehn Tagen

Weitere Kostenlose Bücher