Stirb mit mir: Roman (German Edition)
tot, doch der Geschäftsführer wünschte, dass sämtliche Spuren von ihm beseitigt wurden. Krishna Dasi hatte sich den ganzen Vormittag nach einem Joint gesehnt, aber keine Gelegenheit gefunden, sich für ein paar ordentliche Züge durch den Notausgang zu verdrücken. Normalerweise war er die Ruhe in Person, aber die Anspannung an diesem Tag hatte sich wie eine Stahlkette um seine Brust geschnürt, von der er sich nicht befreien konnte. Es war nicht sein Job, Daves Schreibtisch leer zu räumen, trotzdem hatte er sich dazu bereit erklärt. Mr Filet wollte die Sache erledigt haben, und außer ihm hatte sich niemand gemeldet. Dave, der arme Kerl, war ja auch noch nicht lange unter der Erde. Caroline aus der Verwaltung hatte die Nase gerümpft, als sei allein der Gedanke, Daves Sachen anzufassen, eine Zumutung. Abgesehen davon wollte Krishna es nicht, dass eine der Frauen die Aufgabe übernahm. Sie würden dem Toten niemals die gebührende Achtung erweisen.
Er stellte einen leeren Karton auf Daves Schreibtisch. Die Arbeit habe ich nun lange genug aufgeschoben, dachte er, jetzt ist die beste Zeit dazu. Er litt an einer Sommererkältung, und es ging ihm ohnehin schon schlecht. Sieben Monate lang hatte er Dave gegenübergesessen und dennoch nie mitbekommen, was auf dessen Schreibtisch stand. Sie waren Kumpel gewesen, hatten hier und da über einen Witz gelacht, waren nach der Arbeit einen trinken gegangen, für gewöhnlich freitags auf ein schnelles Bier in der Kneipe auf der anderen Straßenseite. Die Abende endeten meistens in seiner, Krishnas, Wohnung, wo sie einen Joint rauchten und redeten. Zu später Stunde kamen sie auf Religionen und das Leben nach dem Tod zu sprechen. Solche Themen interessierten Dave, und Krishna gefiel es, mit ihm darüber zu diskutieren. Dave nahm dann die kleine Marmorfigur von Ganesha in die Hand, dem Gott mit dem Elefantenkopf, oder betrachtete das Bild von Kali, der vielarmigen Göttin, an der Wand. Daves Gott glich einem Mann, deshalb hatte er Schwierigkeiten, das Aussehen der Hindugötter zu erfassen. Wie oft hatte Krishna versucht, ihm zu erklären, dass es um die Darstellung von etwas Göttlichem ging.
»Wenn Gott wie ein Mensch aussähe«, fragte er, »müsste er dann nicht auch menschliche Fehler haben?«
»Ich glaube, das ist der springende Punkt«, antwortete Dave.
Was für eine trübe Auffassung von Religion, dachte Krishna. Wie wenig inspirierend. Eigentlich sogar deprimierend. Er wusste, dass Dave nicht glücklich war, dazu war er viel zu grüblerisch. Lediglich in dem Monat vor seinem Tod schien er sich besser gefühlt zu haben, und in den letzten Tagen seines Lebens hatte er nahezu fröhlich gewirkt. Eines Tages hatten sie die Nachricht bekommen. Mr Filet hatte sie alle zusammengerufen. Krishna hatte ihm stumm zugehört, wohingegen die anderen, diejenigen, die Dave kaum gekannt oder nicht gemocht hatten, sich geräuspert und die Augen mit Papiertaschentüchern betupft hatten. Krishna hatte sich schuldig gefühlt. Hätte er nicht erkennen müssen, dass sein Freund am Rand des Selbstmords gestanden hatte? Die Anzeichen mussten da gewesen sein, aber sie waren ihm entgangen. Sonst hätte er ihm vielleicht helfen können, das, was ihn unglücklich gemacht hatte, anders zu sehen. Er überlegte, ob Dave nur deshalb immerzu über Karma und Reinkarnation gesprochen hatte. Hätte Krishna gewusst, was in ihm vorgegangen war, hätte er ihm erklären können, dass Selbstmord keine Lösung war. Wie sollte die Seele wandern können, wenn dem Körper Gewalt angetan worden war?
In der Zeitung hatte gestanden, dass Dave eine Überdosis genommen und einen Abschiedsbrief hinterlassen hatte. Seine Freundin war wohl bis zum Schluss bei ihm gewesen. Krishna hatte nicht einmal gewusst, dass Dave eine Freundin hatte, denn er hatte nie jemanden erwähnt und auf seinem Schreibtisch stand auch kein Foto von ihr. Dort befanden sich nur ein ledernes Schreibtisch-Set, ein Behältnis mit Stiften des Unternehmens und ein flacher Laptop, der gleiche, den auch er hatte. Dann war da noch ein Kalender, mit einem Far-Side- Cartoon für jeden Monat. Der Juni war aufgeschlagen, jener Monat, in dem Dave gestorben war. Trotzdem war die Zeit nicht stehengeblieben.
Krishna zog die Schreibtischschublade auf. Sie war aufgeräumt, anders als seine eigene, und enthielt einen Taschenrechner, wie auch er einen hatte. Er gehörte zur Grundausstattung eines jeden Statistikers. Außerdem ein paar Stifte und ein
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