Stirb mit mir: Roman (German Edition)
silberfarbener Bleistiftspitzer – Arbeitsgeräte, die er liegen ließ. Die Packung Nurofen kam in den Karton. Dann war da noch ein Block. Krishna schlug ihn auf, entdeckte Listen, die Dave mit seiner gedrängten Schrift aufgestellt hatte. Er legte den Block in den Karton. Als Nächstes kam eine ungeöffnete Packung extrastarke Pfefferminzbonbons, die Dave häufig gelutscht hatte. Höflich, wie er war, hatte er Krishna jedes Mal eins angeboten, obwohl er das Angebot in den ganzen sieben Monaten nie angenommen hatte. Wohin sollte er die Sachen überhaupt schicken? Dave hatte allein gelebt. Seine Mutter war vor Jahren bei einem Autounfall umgekommen, Dave war damals noch ein Junge gewesen, und sein Vater war vergangene Weihnachten gestorben. Um die Beerdigung zu organisieren, hatte Dave sich beurlauben lassen. Der Vater hatte Alzheimer gehabt und in einem Pflegeheim gelebt. Damals hatte Dave gesagt, sein Tod sei eine Erlösung gewesen, aber er hatte angegriffen gewirkt und seine Hände hatten gezittert. Darüber hinaus rauchte er zu viel Haschisch, aber Krishna hatte nichts dazu gesagt. Es ging ihn nichts an. Jeder traf seine eigenen Entscheidungen im Leben, da mischte man sich nicht ein. Wenn jemand einen Weg gewählt hatte, musste er mit den Folgen leben.
Krishna öffnete die zweite Schublade und entdeckte einen Stapel Unterlagen. Das waren die beiden Versicherungsfälle, mit denen Dave sich zuletzt beschäftigt hatte. Daneben lag eine Fahrkarte nach Colchester, im vergangenen Februar abgestempelt. Seine Hand schwebte schon über dem Papierkorb, doch dann warf er die Fahrkarte in den Karton, nur für den Fall. Als Nächstes stieß er auf eine Ansichtskarte, ohne Adresse und unbeschrieben. Vielleicht hat Dave sie wegen des Bildes gekauft und nicht vorgehabt, sie zu versenden. Auf dem Bild war Jesus am Kreuz zu sehen, an seiner Seite drei Gestalten, zwei Männer und eine Frau. Einer der Männer weinte, aber die Frau – Maria? – wirkte ruhig. Dave hatte seinen katholischen Glauben verloren, in den Monaten vor seinem Tod allerdings davon gesprochen, dass er ihn wiedergefunden habe. Womöglich hatte er die Ansichtskarte deshalb in seinem Schreibtisch aufgehoben. Des Weiteren befand sich in der Schublade ein Rosenkranz, den Krishna herausnahm und die Perlen befingerte. Wenn man ihn fragte, war der Katholizismus hart für den Gläubigen. Ständig ging es um Sünden und Schuld, so etwas konnte einen Menschen ganz schön herunterziehen.
Als Letztes fand er einen Briefumschlag, auf dem »Robin & Smith« stand. Wie zwei Kabarettisten, fuhr es Krishna durch den Sinn.
Die Lasche war nicht zugeklebt. Vorsichtig spähte er in den Umschlag, entdeckte einen Packen ausgedruckter E -Mails und nahm ihn heraus. An der obersten hing ein gelber Klebezettel. Die Telefonnummer darauf hatte Krishna selbst geschrieben. Sie gehörte einem Typen, der Drogen verkaufte. Er erinnerte sich noch gut daran, sie Dave gegeben zu haben. Sein Kollege hatte einen Lieferanten gebraucht, mehr steckte damals nicht dahinter. Doch er hatte sich offenbar zu viel besorgt. Der übermäßige Konsum von Cannabis konnte zu Paranoia und Depressionen führen, und Dave war ohnehin schon niedergedrückt gewesen, erst recht nach dem Tod seines Vaters. Krishna zog den Klebezettel ab, zerknüllte ihn zu einem festen kleinen Ball, steckte ihn in die Tasche seines Jacketts und wünschte, er hätte die Telefonnummer nie weitergegeben.
Die E -Mails las Krishna nicht, dazu achtete er die Privatsphäre des Toten zu sehr. Abgesehen davon gab es Dinge, die man besser nicht wusste. Er schob die E -Mails wieder in den Umschlag und legte ihn in den Karton.
Danach gab es in dem Schreibtisch nichts mehr, das an Daves Leben erinnerte, nur noch Unpersönliches – an dem Schreibtisch hätte also jeder gearbeitet haben können. Stifte, Büroklammern, Laptop waren die üblichen Utensilien eines jeden Büroarbeitsplatzes. Krishna selbst hatte noch zwei Fotos auf seinem Schreibtisch stehen. Eins zeigte seine Eltern. Sein Vater trug darauf ein Gewand aus elfenbeinfarbenem und goldgemustertem Stoff, seine Mutter einen kirschroten Sari und Goldohrringe. Es war auf der Hochzeit seiner Schwester aufgenommen worden. Das war vor fünf Jahren gewesen, aber sie hatte immer noch kein Kind. Auf ihm als Mann lastete weniger Druck, eine Familie zu gründen, doch die Einsamkeit war ein hoher Preis, den er für seine Unabhängigkeit zahlte. Das zweite Foto zeigte Deva, seinen Bullterrier. Auf
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